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Financial Times – die unberechenbare Hundertjährige

In ihrem Jubiläumsjahr wird das britische Wirtschaftsblatt durch den Verkauf an den Medientycoon Murdoch beunruhigt / Ausweitung des Kulturressorts liegt voll im Trend  ■ Aus London Rolf Paasch

„Nicht nur die Armen haben Probleme“, so entgegnet ein durch die Londoner City eilender Rentierkapitalist der Bettlerin, die ihn in einer Karikatur der britischen Satirezeitschrift Punch von 1880 um ein Almosen bittet. „Sie, meine gute Frau“, so läßt das Cartoon den Finanzier weiter sagen, „haben bestimmt noch nie mit den Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, eine Investitionsmöglichkeit zu finden, die sowohl angemessene Sicherheit als auch einen einträglichen Zins verspricht.“ Dem guten Mann sollte bald geholfen werden. Noch im gleichen Jahrzehnt wurden in London zwei Finanzzeitschriften gegründet, die den Investoren über Möglichkeiten informierte, wie er sein Vermögen weiter vermehren könne. Ab 1884 versorgte ihn die Financial News, seit dem 13.Februar 1888 auch die vierseitige Financial Times mit den nötigen Nachrichten über Aktienkurse, Börsenklima und die allgemeine wirtschaftliche Großwetterlage. Genau hundert Jahre später hat die FT (eff tie) ihre Rivalin längst verschluckt und sich vom einstigen Finanzblättchen der Londoner City zur voluminösen Wirtschaftszeitung mit Weltgeltung entwickelt.

Über ein halbes Jahrhundert leisteten sich die beiden Börsenblätter jedoch heftige Konkurrenz. Zusammen durchlebten sie die Blütezeit des britischen Empire, den Kaffer-Boom und die Depression während des Burenkrieges. Ob Eisenbahnaktien in den USA, Anteilsscheine am Kanaltunnel nach Frankreich oder an südafrikanischen Goldminen, die beiden Finanzeitschriften wußten immer Rat. Obwohl die Insider- Deals der Gründerzeit oft unter Mitwirkung von Journalisten und Herausgebern abgewickelt wurden, hatten sich die Börsenblätter bald einen Ruf der Zuverlässigkeit erworben. Trotz der beiden Weltkriege nahm die Leserschaft von FN und FT stetig zu. Auch der Abstieg Großbritanniens von der Bühne der Weltmächte konnte der Stellung der für ihr Börsenpublikum längst unverzichtbaren Finanzzeitschriften nicht mehr erschüttern; denn als Finanz- und Handelsmetropole behielt London auch nach 1945 seine Bedeutung. Der vom Besitzer der FN angeregte Zusammenschluß beider Zeitungen unter dem erfolgsträchtigeren Titel der seit 1893 in lachsrosa gedruckten Financial Times stellte 1945 dann endgültig die Weichen für die Verwandlung der FT vom „Freund des respektablen Brokers“ in eine Wirtschaftszeitung mit internationalem Ansehen. Industrielle und Geschäftsleute konnten sich in der Nachkriegs-FT bald nicht nur über das Auf und Ab der Aktienkurse informieren. Auch die Uraufführungen in den Theatern Europas werden seither für den kulturhungrigen Börsianer eingehend besprochen. Unter Chefredakteur Sir Gordon Newton und Finanzdirektor Lord Drogheda wurde in den fünfziger und sechziger Jahren auch die politische Sektion sowie die Auslandsberichterstattung ausgeweitet. Als Resultat verfügt die FT heute mit 300 Journalisten und über 30 Auslandsbüros über eines der besten Korrespondenten- und Informationsnetze aller Zeitungen.

Die Unabhängigkeit und Seriosität des Blattes war jedoch nur möglich, weil die Besitzer der FT den redaktionellen Teil der Zeitung unangetastet ließen. Dies änderte sich auch nicht, als 1957 die Pearson-Gruppe mit ihren zahlreichen Interessen im Medienbereich, der Unterhaltungsindustrie, aber auch im Investment- und Ölgeschäft die Zeitung übernahm. „Das Besondere an der FT“, so versucht dies der für die Observer-Kolumne mitverantwortliche Richard Dorkin zu erklären, ist, daß wir Journalisten hier keiner von oben festgelegten Linie folgen müssen.“ Natürlich sei die Grundausrichtung der Zeitung liberal-konservativ, aber es gebe auch solche Autoren, die neben der FT für Publikationen wie Marxism today oder den linken New Statesman schrieben. Nicht von ungefähr wird die Zeitung auch von zahlreichen Gewerkschaftlern gelesen, die mittlerweile die Beiträge zur Arbeitswelt zu schätzen gelernt haben. Heute ist die FT die einzige konservative Zeitung Großbritanniens, die nicht auf Regierunglinie liegt, sondern in ihrer Bewertung des Thatcherismus unberechenbar bleibt. Kaum einer hätte nach dem von der Thatcher-Regierung unterstützten amerikanischen Bombenangriff auf Libyen im April 1986 von der FT eine so kritisch-umfassende Berichterstattung erwartet; und nicht wenige waren überrascht, als ausgerechnet die Zeitung des britischen Finanzkapitals im gleichen Jahr feststellte, daß Sanktionen gegenüber Südafrika nun unvermeidlich seien.

Nur wenn es an die Belange ihres Hauptklientels, der Londoner Finanz- und Brokerhäuser geht, wird die Berichterstattung der FT in diesen Tagen merkwürdig zahm. In der Berichterstattung über die üblen Börsenpraktiken im Zusammenhang mit dem Guiness- Skandal ließ die Zeitung viel vom investigativen Biß der frühen FT vermissen. Auch im Rennen der internationalen Medienkonzerne um computergesteuerte Instant- Informationen aus Finanzwesen und Politik bewegte sich die FT bis dato eher bedächtig. Trotz des enormen internationalen Informationsschatzes der Zeitung, die mittlerweile ein Viertel ihrer Auflage von 300.000 im Ausland verkauft, werden die Bildschirminformationen über Börsenkurse in den Metropolen der Welt von der Nachrichtenagentur Reuter geliefert.

Hohe Wachstumsraten und ein Profit von rund 130 Millionen Pfund (390 Millionen Mark) haben das Management des Pearson- Konzerns wohl darüber hinweggetäuscht, daß die FT im Zeitalter der internationalen Medienimperien nur mithalten kann, wenn sie an der Übernahme-Bonanza teilnimmt, die sie gerade in letzter Zeit auf ihren Seiten so nachhaltig kritisiert hat. Ausgerechnet in ihrem Jubiläumsjahr wurde die FT jetzt daran erinnert, daß ihre redaktionelle Unabhängigkeit längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Der überraschende Einstieg des Medientycoon Rupert Murdoch, der mitterweile 20 Prozent der Pearson-Aktien besitzt, hat in der Zeitung für erhebliche Unruhe gesorgt. Unter Murdoch, der neben der halben australischen Presse, amerikanischen Zeitungen und Kabelstationen sowie dem europäischen Satellitenkanal Skychannel auch die britischen Traditionsblätter Times und Sunday Times besitzt – und deren Reputation bereits zugrundegerichtet hat – will keiner der FT-Journalisten arbeiten.

Seitdem versucht der Pearson- Konzern den Übernahmegerüchten durch Murdoch mit einer Vorwärtsstrategie für seine Financial Times zu begegnen. Gegenwärtig plant die FT die Verbesserung ihres internationalen Vertriebs durch neue in Fernost und den USA gedruckte Auflagen. Außerdem versucht die FT derzeit in Kanada, Australien und Frankreich Wirtschaftszeitungen aufzukaufen, um ihre internationale Position zu stärken. Nur mit einer solch aggressiven Expansionsstrategie, so scheint es, wird die hochangesehene Financial Times ihre Unabhängigkeit auch über ihr Jubiläumsjahr hinaus bewahren zu können.

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