: Wahlen in Bangladesh - ohne die Opposition
■ Die Opposition will die Parlamentswahlen um jeden Preis verhindern / Die neue Kraftprobe wird an dem Verteilungskampf der herrschenden Familien um die Pfründen des Landes nichts ändern / Wahlbeteiligung von nur zehn Prozent erwartet
Von Dieter Reinhardt
Mit den heutigen Parlamentswahlen in Bangladesh erreichen die seit letztem November andauernden Auseinandersetzungen zwischen der Regierung von General Ershad und den Oppositionsparteien, den Studenten und Gewerkschaften einen neuen Höhepunkt. Nach Streiks und Protesten Ende 1987 hatte Ershad den Ausnahmezustand verkündet und das Parlament aufgelöst. Da alle wichtigen Oppositionsparteien unter Führung der Awami–Liga und der Nationalpartei von Bangladesh (BNP) eine Beteiligung an Neuwahlen ablehnten, solange Ershad, durch eine zweifelhafte Wahl an die Macht gelangt, regiert, stehen nur Ershads Jatiya–Partei, die vor kurzem vom ihm selbst ins Leben gerufene Parteienkoalition COP, und die konservativ–islamische Jamaati Islami zur Wahl. Die Jamaati Islami hat in den letzten Jahren starken Zulauf erhalten wegen ihrer Forderungen nach stärkerer Islamisierung - die im übrigen unter Ershad erhebliche Fortschritte gemacht hat -, aber auch wegen finanzieller Unterstützung aus arabischen Staaten. Es wird allgemein erwartet, daß die Wahlbeteiligung wie schon bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 1986 unter zehn Prozent liegen wird. Um den Aufruf der Opposition zum Generalstreik zu unterlaufen, hat Ershad die Wahltage zu allgemeinen Feiertagen erklärt. Selbst viele Bürger, die am Urnengang teilnehmen wollen, dürften nach Meinung von Beobachtern aus Furcht vor Unruhen fernbleiben oder durch den massiven Polizei– und Militäreinsatz abgeschreckt werden, der nach Darstellung von Innenminister M.A. Matin „ruhige und neutrale Wahlen“ garantieren soll. Entscheidend für die politischen Geschicke des Landes sind nicht die Wahlen, sondern die Haltung der Armee und die Macht der 3.000 einflußreichsten Familien des Landes. Die Armee verdoppelte ihren Bestand seit Mitte der siebziger Jahre auf 110.000 Mann. Soldaten mit eher sozialrevolutionären Ideen, die aktiv als Guerillakämpfer am Unabhängigkeitskrieg 1971 teilgenommen hatten, wurden im Laufe der Jahre ausgeschaltet, Offiziere mit konservativen Vorstellungen bekamen die Oberhand. So steht die konservative BNP, geführt von der Witwe des 1981 ermordeten Präsidenten General Zia Ur Rahman heute der Armee näher als die vom „Vater der Unabhängigkeit“, Sheikh Mujibur Rahman gegründete Awami–Liga. Der wichtigste innenpolitische Unterschied zwischen den beiden bedeutendsten Oppositionsparteien wird dadurch markiert, daß die Awami–Liga an der per Verfassung festgelegten Trennung von Staat und Religion festhalten will, die durch Ershads Islamisierungsbestrebungen stückweise aufgeweicht werden. Ausgelöst wurde die gegenwärtige Kampagne gegen Ershad allerdings nicht von diesen Parteien, die außer der Forderung nach dem Rücktritt Ershads kaum zu gemeinsamem Handeln fähig sind, sondern durch eine Allianz von linken Parteien und dem Gewerkschaftsdachverband SKOP. Sie fordert unter anderem einen Abbau der Staatsausgaben für die Armee, die gegenwärtig 6o Prozent ausmachen, die Besteuerung von Luxusgütern und eine Landreform. Diese Allianz ist jedoch zu schwach, um die enge Verzahnung der Interessen von Armeeangehörigen, Funktionären in Staat und Parteien, der kleinen industriellen und der ländlichen Oberschicht aufzubrechen. Deren Verteilungskampf um Macht und Pfründe, in dem die aktuellen Auseinandersetzungen nur eine weitere Etappe darstellen, führt nach Auffassung des Politikwissenschaftlers Badruddin Umar zu einem „Zustand permanenten Notstands“. In den Wahlkampf hatte sich inzwischen der US–Botschafter William de Pree eingeschaltet, der mit Ershad ebenso wie mit Oppositionspolitikern sprach. Auf seine Initiative, so vermuten Beobachter, geht der Verzicht auf die Ausrufung des Kriegsrechts zurück, die von Teilen der Armee gefordert wurde, aber dem jetzt schon ramponierten demokratischen Image der Regierung Ershads weiter Abbruch getan hätte. „Um jeden Preis“, so die Führerinnen der Opposition, würden ihre Anhänger die Wahl verhindern. Wenn sich der Stil der Bezirksratswahlen am 10. Februar wiederholt, stehen den Bangladeshis blutige Tage bevor: Damals wurden 150 Menschen getötet und 8.000 verletzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen