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Lasergedruckte Matjes–Offerten

■ „Desktop Publishing“: Verlegen und Drucken am Schreibtisch / Fadenscheinige Kreativität

Schon im Vorfeld der Computermesse CeBIT 88 versetzte sich Diebolds Marktforscher Peter Steding in frühkapitalistische Aufbruchstimmung: „Absehbar ist heute schon, daß DTP im Bürobereich ähnliche Auswirkungen haben wird wie der Einsatz der ersten mechanischen Webstühle in der Textilindustrie.“ Dieses DTP, dem der Unternehmensberater solche sozialrevolutionären Fähigkeiten unterstellt, steht für „Desktop Publishing“. Es gibt keine passende Übersetzung für DTP, was auch eine Computerzeitung dazu veranlaßte, einen Wettbewerb zur deutschen Namensfindung auszuloben. Erfolg: Es bleibt bei DTP. Kann für etwas, worüber keine gesellschaftlichen Erfahrungen existieren, eine einleuchtende Bezeichnung gefunden werden? „Verlegen und Drucken vom Schreibtisch aus“ könnte angelehnt übersetzt werden. Gemeint ist das Erstellen von Gedrucktem via PC; von der Speisekarte bis zum Roman im Selbstverlag. Dahinter versteckt sich die Möglichkeit, auf dem Bildschirm die Seite z.B. einer Broschüre vollständig aufzubauen, in Spalten zu gliedern, mit Grafiken zu schmücken und Texte in verschiedenen Schriften zu füllen. Bei kaum einem namhaften Anbieter der diesjährigen CeBIT fehlt der Hinweis auf das Zauberwort „Desktop Publishing“. Die Argumente ihrer Verkaufsshows klingen zunächst überzeugend: 90 Prozent der Leistung eines professionalen Fotosatzsystems bei 25 Prozent Einsparung bei den Anschaffungskosten. Für die „Druckerei auf dem Schreibtisch“ benötigt man nur einen leistungsfähigen PC mit Festplatte, einen Laserdrucker, einen Ganzseiten–Bildschirm und - selbstverständlich - die entsprechende Software, und alles zusammen für ca. 15.000 bis 50.000 Mark. Das große Interesse vieler Unternehmern an einer solchen hauseigenen Druckerei hat aber nicht nur einen ökonomischen Hintergrund, sondern ist auch typische Reaktion auf die trübsinnige Stagnation, in der die EDV–Branche momentan verharrt. Deren Aufbruchstimmung ist längst im hellen Gekreisch der Matrixdrucker verstummt, die das „papierlose Büro“ unter grau–grün gestreiften Endlosbögen begraben. Kommt da eine kreative Anwendung, die vorgibt, auch noch Kosten zu sparen, nicht gerade gelegen, den angekratzten Lack der firmeneigenen PC–Elite wieder aufzupolieren? Die Speisepläne aus den Laserdruckern - die beliebten Matjesfilets in Dillsahne in einer hausgemachten Frakturschrift mit schwungvollen Versalien unter einem futura–fetten Freitag - müssen die innovative Kraft der Computer wieder unter Beweis stellen. Die Computerfirmen ver kaufen das Blaue vom Himmel und befördern die mittleren Führungskräfte unter ihren Kunden mit einer halbtägigen Schulung zu Art– Direktors, die nun ohne handwerkliche Kenntnisse auf das Firmen–Outfit losgelassen werden. Diese überforderten Laien müssen dabei mit einer fadenscheinigen Kreativität zurechtkommen: Das Gestalten am Bildschirm erschöpft sich im Wiederholen und Variieren des Standards. Die Computer, diese Kisten aus Plastik, Lötzinn und Slizium simulieren dem begeisterten Anwender eine rechnerische Nachahmung verlegerischer Tätigkeit - inclusive einem Hauch aus der flirrenden Welt der Medien. Inwieweit sich DTP auf das klassische Druckgewerbe auswirkt, läßt sich momentan schwer vorhersehen. Doch die sinnvollste Nutzung dieses neuen Verfahrens zur elektronischen Satz– und Bildgestaltung liegt am besten in den handwerklichen Fähigkeiten professioneller SetzerInnen. Allerdings muß sich diese Berufsgruppe erstmal mit „Bit–Maps“ und „File–Transfer“ und was sonst noch zum Desktop–Publishing gehört, herumschlagen, was dieser etwas konservativen Zunft nicht leichtfallen wird. Es wäre allerdings sehr bedauerlich, wenn diese Entwicklung einen negativen Einfluß auf das hohe Niveau dieser „Schwarzen Kunst“ hätte. Obgleich wir alle des Lesens und Schreibens mächtig sind, werden wir uns kaum der Möglichkeiten bewußt, die von der Schriftwahl bis zur kompletten Seitengestaltung unser Leseverhalten bestimmen. Gerade in der Diskretion ihrer Arbeit liegt die Stärke der Setzereien. Vielleicht müssen wir in Anbetracht der Prospektflut kunstfertiger Schreibtisch–Publiziten eine Bemerkung von Ernst Bloch in einem neuen Licht sehen: „Die Zeitung ist heiter gesetzt, um desto angenehmer überflogen zu werden.“ Walter Schoendorf

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