: „Wir werden legal ermordet“
■ Während in Pretoria der Oberste Gerichtshof Südafrikas den Aufschub der für heute angekündigten Hinrichtungen beschloß, wurde in Sharpeville gebetet
Aus Sharpeville Hans Brandt
„Selbst in dieser letzten Stunde beten wir für ein Wunder.“ Sechs Kerzen brennen auf dem Altar. Einige Frauen schluchzen. „Gott, rette diese sechs Kinder Afrikas“, betet der Pastor. Leise liest er die Namen der „Sharpeville Six“. Draußen vor der überfüllten grauen Kirche von Sharpeville patroullieren Autos der Sicherheitspolizei. Große Sorgen macht die Polizei sich heute nicht. Die 400 Menschen bei dem Gebetsgottesdienst können die Sechs auch nicht mehr retten. Staatspräsident Pieter W. Botha hatte es am Mittwoch höchstpersönlich dem anglikanischen Erzbischof Desmond Tutu mitgeteilt: Eine Begnadigung kommt nicht in Frage. Die Gerichte sind unabhängig. Sie entscheiden. „Wir werden legal ermordet“, ruft Frank Chikane, Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrates (SACC), der Gemeinde in Sharpeville zu. Chikane zitiert aus einem Brief, den Botha am Mittwoch an Tutu schickte. „Botha sagt uns, daß wir nicht dem Gott des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) dienen sollen. Doch wir sind noch nie vom ANC und der SACP unterdrückt worden. Wir werden von Menschen unterdrückt, die sich Christen nennen.“ „Die Zeit für Augenwischerei und Spielereien ist vorbei“, schrieb Botha an Tutu. „Sie sollten sich nicht hinter dem Talar der christlichen Kirche verstecken, denn Christentum und Marxismus sind nicht mit einander zu vereinbaren.“ „Der Staatspräsident fordert, daß wir dem Gott, der Apartheid dienen, einem Gott, der die Unterdrückten tötet,“ empört sich Chikane. „Doch wir werden weiter sagen, daß Apartheid Sünde ist. Wir werden Gott dienen, nicht irgendeinem Menschen.“ Die Gemeinde ist wütend. Immer wieder müssen einzelne Pastoren die Anwesenden ermahnen, nicht Freiheits– sondern Kirchenlieder zu singen. Sheena Duncan, SACC–Vizepräsidentin, spricht in dem Gottesdienst als Vertreterin der Menschenrechtsorganisation „Black Sash“ und der Weißen. Sie zitiert den Richter, der sein Todesurteil für die „Sharpeville Six“ damit begründete, daß das Opfer Dlamini „auf brutale, mittelalterliche und barbarische Weise“ ermordet wurde. „Das ist sicher richtig“, sagt Duncan, und die Gemeinde nickt zustimmend. „Doch die Regierung plant am Freitag, sechs weitere Menschen auf viel brutalere, mittelalterliche und barbarische Weise zu töten, sie tötet kaltblütig.“
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