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Die SPD und das Pärchenwesen

■ Zwischen christlicher Familie und neuen grünen Beziehungeswelten setzt die SPD auf die Mitte: das unverheiratete Paar / Eine ad hoc–AG untersucht Gleichstellungsmöglichkeiten für Ehen ohne Trauschein

Von Carola Schewe

„Ich heirate nicht. Ich lasse mich doch nicht korrumpieren!“, sagte Angela, eine berufstätige Feministin, die in eheähnlicher Gemeinschaft mit einem Mann lebt. „Wir wären ja dumm, wenn wir nicht geheiratet hätten“, versetzt die junge Hausfrau Claudia. Das „dumm“ kann sie präzisieren: ihr gehts ums Geld. Der Gang zum Standesamt hat dem Paar monatlich fünfhundert Mark mehr gebracht, netto. Das Einkommen des Ehemanns - er ist kleiner Postbeamter - hat sich um fast ein Drittel erhöht. Politisches Bewußtsein? Prinzipielle Vorbehalte gegenüber der Ehe? Ja, aber... „Ob ich verheiratet oder unverheiratet bin, das ändert doch nichts an meiner inneren Einstellung.“ Mein übriger weiblicher Bekanntenkreis (Typ: eheähnliche Beziehung, ein Kind, berufstätig) reagiert unwillig, wenn ich Claudias Ansicht unterstütze. Die Meinungen reichen vom unklaren „Ich brauche meine Unabhängigkeit“ bis zu Stellungnahmen wie: „Die Ehe ist eine Institution, die Frauen immer unterdrückt hat, sie ist von der Struktur her frauenfeindlich. So eine Institution unterstütze ich nicht.“ Und: „Wenn ich um materieller Vorteile willen heiraten würde, ließe ich mir mein Bewußtsein abkaufen.“ Diese Frauen - ihre Gruppe dürfte etwa ein Drittel aller eheähnlich lebenden Paarhälften ausmachen - übersehen etwas: zugunsten ihres Bewußtseins lassen sie sich alle die finanziellen und rechtlichen Vorteile abkaufen, die Ehefrauen haben. Und das sind viele. Lange Listen Eine ad hoc–Arbeitsgruppe von SPD ParlamentarierInnen hat vor kurzem die Problembereiche aufgelistet, in denen eheähnliche Lebensgemeinschaften benachteiligt werden: - Zusammenleben: Wer zahlt die Miete und das Haushaltsgeld? - Trennung: Wem gehören Wohnung, Hausrat, Sparguthaben, Auto? Unterhalt, Sorgerecht... - Tod: Wer darf in der Wohnung bleiben? Testament, Erbschaftssteuer, Rente... Die Liste ist nicht vollständig; die Arbeitsgruppe beginnt erst mit ihrer Arbeit. Nicht verheiratete Leute werden von allen Institutionen gleich– behandelt, egal, ob das ihrer tatsächlichen Lebensform entspricht oder nicht; das unterstellt jedenfalls die Arbeitsgruppe. Von der Bundesbahn (“Familienpaß“) über den Kinderhort bis zur Kirche - die Institutionen nehmen sie als Einzelwesen oder Alleinerziehende wahr. Selten haben die Nicht–Verheirateten davon Vorteile (z.B. bei Hortplätzen). Beschäftigte bei Caritas oder Miserior fliegen in hohem Bogen raus, wenn ihr unzüchtiges Verhältnis bekannt wird. Es soll immer noch Vermieter geben, die auf einem Trauschein bestehen. Sozialwohnungen sind für unverheiratete Paare in der Regel nicht zu bekommen. Wer als Nicht–Verheiratete ins Gefängnis oder die Psychiatrie gerät, ist auf seine Eltern oder Kinder angewiesen. Die Partnerin oder der Freund werden nicht so schnell vorgelassen und haben erst recht keine Vollmachten. Sie werden nicht gefragt, wenn es um Operationen oder Heimunterbringung geht. Ähnlich hilflos sind auch alle unehelichen Väter - etwa, wenn das Kind ins Krankenhaus muß und die Mutter nicht greifbar ist. Nicht verheiratete Beamte können leichter versetzt werden. Und so weiter. Ganz eindeutig sind auch die finanziellen Nachteile für unverheiratete Paare. Partner/in und Kinder können nicht als Familienmitglieder billig krankenversichert werden. Das Ehegattensplitting im Steuerrecht belohnt Eheleute, vor allem gutverdienende, wogegen das Kinderkriegen sich steuerlich kaum auszahlt. Die SPD–Arbeitsgruppe folgert denn auch, daß „eheähnliche Lebensformen bewußt geschädigt werden, um ihr weiteres Aufkommen zu verhindern“. Nichts ist geschlechtsneutral Was die Arbeitsgruppe nicht wahrgenommen hat: Nicht alle Institutionen behandeln unverheiratete Paare wie Alleinstehende. Arbeits– und Sozialämter gehen davon aus, daß, wer zusammenwohnt, sich auch gegenseitig finanziell unterstützt. Frauen–Erwerbslosen–Gruppen machten mit ihrer Kampagne „Wir wollen mehr als Luft und Liebe“ schon vor einem Jahr darauf aufmerksam, daß es vor allem Frauen sind, denen die Hilfen gestrichen werden, falls sie mit anderen zusammenwohnen. Arbeits– und Sozialämtern ist es vollkommen gleichgültig, ob ein Trauschein existiert; wenn sie nur jemanden finden, auf den sie Unterhaltszahlungen abschieben können! Ehefrauen können zum Ausgleich Unterhalt vom Ehemann einklagen. Unverheiratete stehen völlig ohne Existenzssicherung da. Hier wird deutlich, daß man nicht geschlechtsneutral die Vor– und Nachteile der Eheschließung abwägen kann, wie die SPD das tut. Für die besser verdienenden Männer hat es durchaus Vorteile, nicht zu heiraten. Wo ein gemeinsames, aber uneheliches Kind existiert, können sie sich lächelnd vor der alltäglichen Verantwortung drücken: „Es ist ja dein Kind, du hast das Sorgerecht.“ Was sie nach einer Trennung an Kindesunterhalt zahlen, können sie fast zur Hälfte von der Steuer absetzen. Die tatsächlichen Lebenshaltungskosten für Kinder sind dagegen nicht absetzbar - weder für die alleinerziehende Mutter noch in der Normalfamilie. Nichtverheiratete Männer müssen nach einer Trennung weder Rentenanwartschaften teilen, noch angemessen Unterhalt zahlen. Zumeist Frauen bekommen in eheähnlichen Beziehunegn die Nachteile dieser Rechtsform zu spüren. Sie suchen sich eine Halbtagsstelle, wenn ein Kind da ist. Sie nehmen das niedrigere Einkommen und die kleinere Rente in Kauf, nicht ihr Partner. Die Frau zieht dem Mann hinterher, wenn er in einer anderen Stadt besser Karriere machen kann und begnügt sich dort mit dem erstbesten Arbeitsplatz. Frauen verschleißen ihre Kräfte in Haus– und Beziehungsarbeit, die der Partner - ob verheiratet oder nicht - meist vernachlässigt. Nach einer Trennung oder seinem Tod steht sie nicht als Witwe mit entsprechender Rente, sondern oft sogar ohne das gemeinsame Erbe da. Ehefrauen haben hier überall Gesetze im Rücken. Gesetze, die einen Ausgleich schaffen wollen gegen das „freie“ Spiel der Kräfte auf dem Beziehungsmarkt. Das sind nicht immer Gesetze, die aus Tradition und konservativem politischen Willen entstanden sind. Die Frauenbewegung war es, die in den siebziger Jahren das neue Scheidungsrecht durchsetzte, das erstmals Haus– und Beziehungsarbeit gesetzlich anerkannte. Und auch Erziehungsgeld und -urlaub auf das Babyjahr in der Rentenversicherung sind Spätfolgen feministischer Aktivitäten. Sicher, CDU–Männer und die verschiedenen Vereinigungen unterhaltspflichtiger Männer tun, was sie können, um die Zielsetzung des Scheidungsrechts zu verwässern. Aber trotzdem sind Ehefrauen immer noch viel besser abgesichert als die, ach so unabhängigen, nicht–verheirat zusammenlebenden Frauen. Die SPD macht auf Klein–Klein Natürlich können wir uns trotzdem fragen, ob es denn sein muß, daß zwei Menschen sich versprechen müssen, zusammenzubleiben, „bis daß der Tod euch scheidet“ - nur um all diese rechtlichen Vorteile in Anspruch nehmen zu können. Ist es nicht Zeit, endlich die Realität anzuerkennen und die Ehe auf Zeit einzuführen? Eine Lebensform, die die rechtlichen Vorteile der Ehe mit der Selbstverständlichkeit der Ledigen verbindet. Eine Lebensform, die auch Homosexuellen rechtlich abgesicherte Bindungen ermöglicht. Ist es das, was der SPD–Vorstand bezweckt? Nein, beileibe nicht. Homosexuelle kommen bei der SPD nicht vor. Und an radikale Änderungen denkt die Arbeitsgruppe auch nicht. „Die ad hoc–Arbeitsgruppe wird sich (...) auf besondere Brennpunkte konzentrieren, ohne etwa generell die eheähnlichen den ehelichen Lebensgemeinschaften gleichstellen zu wollen...“, heißt es in ihrem Gründungspapier. Partnerschaftsverträge will sie erarbeiten. Kinker litzchen also und Klein–Klein im Privaten. Musterverträge gibt es bereits; man braucht sich nur eines der vielen Ratgeberbücher zu kaufen, die für uneheliche Paare auf dem Markt sind. Sie sind meist so abgefaßt, daß jede gegenseitige materielle Verpflichtung ausgeschlossen wird. Brennpunkte sieht die Arbeitsgruppe da, wo eine eheähnliche Beziehung aufgelöst wird, sei es durch Tod oder Trennung. Also eine Art Scheidungsrecht für Nicht–Verheiratete, das der Hausfrau wirtschaftliche Absicherung beschert? Selbst so ein Entwurf scheint der Arbeitsgruppe zu hoch gegriffen. Es gibt schließlich den sechsten Grundgesetz–Artikel, der Ehe und Familie unter besonderen staatlichen Schutz stellt. Der Paragraph wird vom Verfassungsgericht so interpretiert, daß die materiellen und ideellen Vorteile der Ehe eheähnlichen Gemeinschaften nicht zugute kommen dürfen. An diesem Paragrpahen des gemeinsamen Sorgerechts für nicht verheiratete Eltern gescheitert. Und auch das seit langem von der FDP geplante „Umgangsrecht“ für nichteheliche Väter wird diese Hürde kaum überwinden können. Grundgesetz–Änderung? Es fragt sich, warum die SPD unter diesen Umständen überhaupt eine parlamentarische Arbeitsgruppe zum Thema einsetzt. Mir scheint, ihr fehlt ein Stück in ihrer Gesellschaftstheorie, jedenfalls ein zeitgemäßes. Niemand weiß, was die moderne SPD von Ehe und Familie hält. Sicher, da gibt es die christlichen Traditionalisten wie Johannes Rau, deren Fetisch die Hausfrauenehe ist und bleibt. Auf der anderen Seite treten die emanzipierten AsF–Genossinen manchmal ins Scheinwerferlicht. Aber da ist nichts, was trägt; eine gemeinsame Vorstellung davon, wie die Menschen zusammanleben sollten, hat die heutige SPD nicht zu bieten. Eheähnliche Gemeinschaften kommen da gerade recht. Keine Partei hat sie bisher unter ihre Fittiche genommen. Ganz anders die politische Gegnerin CDU. Sie ist eindeutig in der Offensive und sehr profiliert. Auf ihrem rechten Flügel wird fürs Heimchen am Herd gefochten. Der linke engagiert sich eher für die Kinder – notfalls mit nur einem Elternteil, jedenfalls in der Mehrzahl. Die FDP ist eine Partei von Männern, die zwar noch ihre Hausfrau nicht entbehren können, sie aber geflissentlich übersehen. Die Grünen dagegen haben eine schriftlich fixierte Utopie. Im Entwurf zum Antidiskriminierungsgesetz aus dem Jahre 1986 ziehen sie die einzig sinnvolle Konsequenz aus der gesellschaftlichen Entwicklung menschlicher Beziehungen: Grundgesetz–Änderung. Die ersten beiden Absätze des Familienparagraphen würden - ginge es nach den Verfasserinnen des Antidiskriminierungsgesetzes – so lauten: Jede Lebensform von Menschen ist schutzwürdig. Personen, die Kinder erziehen, betreuen und pflegen, werden besonders gefördert. Keine Vorschriften mehr fürs Zusammenleben, alles ist möglich. Das Antidiskriminierungsgesetz verlangt partnerschaftlich aufgeteilte Hausarbeit und vollständige rechtliche und materielle Gleichbewertung der Kindererziehung. Leitfigur ist das freie Individuum – aber nicht in Form des rücksichtslosen, freischwebenden Yuppies, sondern als sozial verantwortlicher Mensch. Man sieht: eheähnlich lebende Paare, für die die SPD sich jetzt engagiert, bilden die exakte, bisher politisch nicht besetzte Mitte zwischen alter christlicher Familie und neuer grüner Beziehungswelt: das Paar als Keimzelle des sozialdemokratischen Staats, unverheiratet natürlich.

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