: Hoffen auf Gorbatschow
■ Armenien: Früchte der Selbstzufriedenheit und der Tatenlosigkeit
Der stellvertretende Vorsitzende der Presseagentur Nowosti, Karen Chatschaturow, reiste eine Woche nach dem Gesuch der örtlichen Staatsmacht, dem „Rat der Volksdeputierten“, in den Bestand der Republik Armenien aufgenommen zu werden, in das „gemütliche“ Stepanakert. Er äußerte sich am 20. März in Moskowski Nowosti mißbilligend über diese Forderung, die ohne Beispiel in der Praxis der nationalen Beziehungen sei. Das ZK der KPdSU hat die Auffassung, daß die Handlungen und Forderungen, die auf eine Revision der bestehenden materiellen und territorialen Ordnung gerichtet sind, den Interessen der Werktätigen beider Republiken widersprechen und den zwischennationalen Beziehungen Schaden bringen. In Aserbeidschan wurden in den Gebieten mit überwiegend armenischer Bevölkerung bereits in den 20er Jahren zwei nationale Formationen mit unterschiedlichen Prärogativen gegründet: die Autonome Republik Nachit schewan, mit eigener Verfassung sowie die autonome Region Nagorni Karabach. Weder die Verfassung der UdSSR noch der Unionsrepubliken regeln die Rechte der autonomen Regionen. Die Gesprächspartner in Stepanakert machten Karen Chatschaturow deutlich, daß es um die Wiederherstellung der Gerechtigkeit geht, da doch in den zwanziger Jahren Nagorni Karabach als unveräußerlicher Bestandteil von Armenien deklariert worden war. Sie unterstrichen die Besonderheit der Lage: als dem einzigen autonomen Gebilde in der Sowjetunion, bei Vorhandensein einer Unionsrepublik mit entsprechender und zahlenmäßig vorherrschender nationaler Zusammensetzung. In Karabach leben 2,6 Prozent der Bevölkerung auf einem Territorium, das fünf Prozent der Fläche Aserbeidschans umfaßt. Im Laufe von zwei Jahrzehnten (1959 - 1979) ging der Anteil der Armenier von 84,4 auf 75,8 Prozent zurück, während im gleichen Zeitraum die Anwesenheit der Aserbeidschaner von 13,8 auf 22,9 Prozent zunahm. Gefördert hat diese demographische Entwicklung die Personalpolitik des Innenministeriums in Baku, das für die Zuteilung einer Arbeit für Lehrer und Ärzte eine Bestätigung erteilen muß. Dies gilt auch für andere Intelligenzberufe sowie für leitende Verwaltungsstellen. Eine Deformation der sozio–ökonomischen und kulturellen Lebensbedingungen durch Verletzung der Autonomie–Rechte sind auch Ursache für eine Abwanderung der Armenier aus der Autonomen Republik Nachitschewan. Seit Anfang des Jahrhunderts ging die Einwohnerschaft von ehemals rd. 50 auf zwei Prozent zurück. Umso bemerkenswerter die in Karabach bei den Demonstrationen am meisten skandierte Losung: „Moskau - Freundschaft - Gorbatschow“. Gorbatschow, das kleinere Übel in Moskau? Alice Meyer
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
