: Müllkrimi in den Niederlanden bleibt spannend
■ Krimineller Spediteur Simon Kemp ist weiterhin „verschwunden“ / Anwohner der Mülldeponie in Alphen aan de Rijn berichten über ihre Gesundheitsschäden Skandal–Handling des Umweltministeriums bleibt mühsam / Verbrennung giftigen Mülls soll konkurrenzfähig werden / Neue Pläne für riesige Mülldeponie
Von H. Raijer/M. Kriener
Berlin (taz) - Die Hauptperson im niederländischen Giftmüllkrimi, der abgetauchte Spediteur Simon Kemp, ist weiterhin unauffindbar. Wie berichtet (taz v. 26.3.), hat Kemp in den Jahren 1978 und 1979 schätzungsweise 100.000 bis 150.000 Fässer mit Giftmüll illegal auf dem Gelände einer Deponie in Alphen aan de Rijn weggekippt. Kemp hatte dabei glänzend verdient, denn von den Müllproduzenten ließ er sich die hohen Gebühren für die Verbrennung der Abfälle bezahlen. In den Niederlanden sorgt der Skandal seit Wochen für Schlagzeilen. Auf dem Gelände der Giftdeponie befindet sich heute ein Naherholungsgebiet samt Kinderbauernhof und Golfplatz. Höhepunkte der Affäre sind jeweils die Mitteilungen aus dem „Untergrund“, die sogenannten Bulletins, die Spediteur Kemp verbreitet. In seiner neuesten Bot schaft wies Kemp erneut alle Schuld von sich, da er ja nur „Subunternehmer“ gewesen sei und die Verantwortung gar nicht bei ihm liege. Das „Kemp–Team“ der Kripo, das schon seit Jahren die Praktiken des Müllentsorgers verfolgt, hat inzwischen die Bücher der Deponie überprüft und herausgefunden, was kaum noch jemand überrascht: In Alphen wurde von verschiedenen Unternehmen Giftmüll abgeladen, für den sie keine Genehmigung hatten. Die Folgen: Die Grundwasserqualität war schon 1980 so schlecht, daß die Wasserströme rund um die Deponie hermetisch abgeriegelt werden mußten. Daß Einbruch und illegales Ablagern in Alphen an der Tagesordnung waren, dafür haben die Rechercheure inzwischen eine ganze Reihe von Belegen. So wurde z.B. das Schloß zur Deponie regelmäßig ausgetauscht, um den illegalen Zutritt zu erschweren. Auch das half wenig: Anwohner haben inzwischen 19 Fälle von „nächtlichem Treiben“ auf der Deponie rekonstruieren können. Zu den direkten Anwohnern der Deponie gehört die Familie Tol, deren Haus nur 50 Meter vom Tatort entfernt steht. Die Familie hat jahrelang die Giftmüllentsorgung erlitten: „Vielleicht ist das alles Zufall, aber seit genau acht Jahren tragen die Obstbäume kaum noch etwas, unsere Schafe sterben, unsere Kinder klagen ständig über Kopfschmerzen und haben Asth ma–Anfälle. Die Ärzte fanden keine Ursache dafür. Verstehen Sie, daß wir Angst haben?“ Auch die Gärtnerei Markwat gehört zu den Geschädigten. 1984 warfen die Markwats das Handtuch. Eine Mißernte hatte die nächste gejagt. Trotz 70stündiger Arbeitswoche produzierten die Eheleute nur Ware minderer Qualität. An manchen Tagen mußten sie die Arbeit wegen Übelkeit ganz einstellen. Doch erst als ihr Kind von chronischem Asthma bedroht war, gaben sie auf. Wie war die jahrelange illegale Giftmüllpraxis möglich? Die Ermittlungen haben ergeben, daß Simon Kemp „herzliche Kontakte“ zu einem Beamten der städtischen Polizei pflegte. Der Mann wurde inzwischen wegen „Verdachts strafbarer Handlungen“ vorläufig beurlaubt. „Ich habe Beweise dafür, daß über eine halbe Million Schweigegeld gezahlt wurde“, empörte sich vergangene Woche ein aufgebrachter Bürger in einer öffentlichen Anhörung zum Skandal. „Wem soll man da noch trauen?“ Das Umweltministerium versucht in dieser Situation alles zu tun, um den Eindruck des Verharmlosens zu korrigieren. So wurde jetzt die Verjährungsfrist für Umweltvergehen von sechs auf 15 Jahre heraufgesetzt. Für Kemp allerdings zu spät. Für ihn gilt noch die alte Regelung, weshalb er allenfalls wegen Urkundenfälschung und anderer Vergehen belangt werden kann. Als weitere Maßnahme sollen die Tarife für die Entsorgung verändert werden. Für die Ablagerung auf Mülldeponien wird die Heraufsetzung von zehn auf 30 Gulden pro Tonne erwogen, um die teurere Müllverbrennung konkurrenzfähig zu machen. „Solange die Chemie–Industrie nicht– abbaubare Abfälle produziert und sie privat entsorgen läßt, werden sich immer Müll–Mafiosi finden, die Gesetzes– und Kontrollücken ausfindig machen“, bleibt Herman Kesten von Greenpeace Niederlande mißtrauisch. Die Politik des Umweltministeriums bleibt widersprüchlich. Während sie einerseits die Müllgebühren erhöht, um ein Umsteigen auf die Verbrennung zu erleichtern, plant sie für die neunziger Jahre eine neue riesige Müllkippe. Auf dem ehemaligen Industriegelände im Hafen von Dordrecht soll ein Abfallager für sechs Millionen Kubikmeter Industriemüll angelegt werden. Durch Stahldämme soll das Depot von der „Außenwelt“ abgeschnitten sein. Zehn Jahre lang soll die Deponie die Exkremente der (Chemie–)Industrie aufnehmen. Dann wird sie zugeschüttet und - Alphen ick hör dir trappsen - zu einem Naherholungsgebiet erklärt.
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