: Rentenreform: Flickschusterei am Sozialen Netz
■ Rentenversicherung mit wachsendem Defizit / Vernünftige Modelle zur Umstrukturierung scheitern am Leistungs– und Verdienst–Denken / Begrenzte Solidarität der Versicherten
Von Petra Kirchberger
Die Rentenversicherung kommt mit ihrem Geld nicht mehr aus. Seit Jahren wird an der Krise der gesetzlichen Rentenversicherung gebastelt und die Schuld den kinderlosen, emanzipierten Frauen zugeschoben. Da die bescheidenen Gebärprämien nicht verfangen, baut man notgedrungen an neuen Finanzierungsmodellen für die Renten. In der Öffentlichkeit wurden vor allem die alternativen Altersversorgungen diskutiert. Martin Bangemann, Kurt Biedenkopf und die Grünen fordern staatlich garantierte Mindestrenten. Darüber, wie hoch diese Mindestrenten sein müßten, gehen die Meinungen auseinander. Biedenkopf und Bangemann malen sich aus, daß eine Grundversorgung in Sozialhilfehöhe genau richtig wäre. Es bestünde dann noch Anreiz genug, bei privaten Versicherungsgesellschaften ganz individuell - und natürlich teuer - vorzusorgen. Die Grünen wollen eine Grundrente, die über Sozialhilfehöhe liegt. Wer sich während des Arbeitslebens keine teure Lebensversicherung leisten konnte, könnte doch im Alter ein Leben führen, das bundesdeutschen Verhältnissen angemessen ist. In der Bundesrepublik ist das politische Klima aber nicht danach, anderen als nur den Fleißigen einen ruhigen Lebensabend zu finanzieren. Norbert Blüm denkt schon lange an eine Rentenformel, die „die gestiegenen Finanzbedürfnisse nicht nur von den Beitragszahlern bewältigen läßt, sondern auch von den Rentnern“. (SZ 4.2.1985). Der Wirtschafts rat der CDU hat schon im Sommer 1986 Beitragssätze von 20 bis 22 Prozent (z.Zt. 18,7 Prozent) und ein Nettorentenniveau bei 60 Prozent (z.Zt. bei 72 Prozent nach 45 Versicherungsjahren, bei 64 Prozent nach 40 Versicherungsjahren) für erträglich erklärt. Außerdem will er - und das schlägt auch der Verband deutscher Rentenversicherungsträger vor - das Rentenalter flexibel erhöhen, den Bundeszuschuß dynamisieren und die verschiedenen beitragsfreien Zeiten (vor allem Ausbildung, Kindererziehung, Arbeitslosigkeit und Krankheit) einheitlich verrechnen. Der Staat spielt den Schwarzen Peter den Arbeitenden und Rentnern zu, indem er sich nur gering finanziell mehr belastet - circa 70 Prozent des Bundeszuschusses wird von den Versicherten finanziert - und so vermeidet, darüber nachzudenken, wie Steuermittel zugunsten der Altersversorgung umzuverteilen wären. Es ist noch gar nicht lange her, da wurde für vorzeitigen Ruhestand geworben. Arbeitsplätze sollten frei werden. Jetzt soll man wieder länger arbeiten. Die finanziellen Interessen der Arbeitslosen– und der Rentenversicherung stehen sich gegenseitig im Wege. Je nachdem welches Problem gerade mehr Öffentlichkeit hat, werden die Altersgrenzen nach oben oder unten verschoben. Und was steckt hinter der „neuen Rentenformel“? Die Nettoanpassung oder die besteuerte Rente. Die Renten stünden heute in einem angemessenen Verhältnis zu den Löhnen (vgl. Nettorentenniveau) und die Arbeitnehmer lebten auch nur von dem, was steigende Sozialversicherungsbeiträge und Steuern übrig ließen. „Deshalb werden die Renten der Zukunft nur so steigen können wie die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer“, so heißt es in einer Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Dabei wird ausgeblendet, daß sich dieser Rentendurchschnitt aus sehr unterschiedlich hohen Renten berech net. Noch immer bekommen gerade Frauen nur Renten in Höhe von 300 Mark. Empfohlen wurde der Bundesregierung und dem Parlament die Umstellung von der Brutto– zur Nettorentenanpassung vom Sozialbeirat. In diesem Gremium arbeiten Sachverständige weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit an der nahen und ferneren Zukunft der Rentenversicherung. Aus dem „Gutachten des Sozialbeirats über eine Strukturreform zur längerfristigen Konsolidierung und systematischen Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen der gesamten Alterssicherung“ geht hervor, daß sich hinter dem, was in der Öffentlichkeit als „Nettorentenanpassung“ gehandelt wird, mehreres verbirgt. Da gibt es einmal die „lineare Nettoanpassung“. Würden sich die Abgeordneten hierfür entscheiden, verminderten sich bei der nächsten Anpassung alle Renten in dem Maße, in dem der Anteil an Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern an den Löhnen wächst. Die Situation verschärfte sich für Rentner noch mehr, wenn - wie bei den Tarifverhandlungen der letzten Jahre geübt - Gewerkschaften und Arbeitgeber gegenseitig Forderungen in Form von Urlaub, kürzerer Arbeitszeit und betriebsinternen Sozialleistungen abgelten anstelle in Lohnerhöhungen. Es ist klar, daß solche „Rentenopfer“ zur Zeit noch nicht durchsetzbar sind. Es wird also eine abgewandelte Form der linearem Rentenformel geben. Da wäre zum Beispiel die „belastungsäquivalente Rentenformel“ möglich. Sie liegt zwischen Brutto– und Nettorentenanpassung; lediglich die erhöhten Beiträge zur Rentenversicherung, nicht aber die anderen Sozialabgaben verringern den Prozentsatz der turnusmäßigen Rentenerhöhung. Zusätzlich soll, nach Familiensituation und Rentenhöhe bemessen, eine Art Steuer auf Renten veranschlagt werden. Dieses System soll mit der Besteuerung der Löhne vergleichbar sein, jedoch auch den besonderen Umständen der Rentner Rechnung tragen. Der Sozialbeirat besprach auch eine Besteuerung der Renten, bei der es entweder einen pauschalen Freibetrag für niedrige Renten oder sich nach dem Einkommen richtende Freibeträge geben soll, die den Teil der Rente von Steuern frei halten, der durch die früher gezahlten Beiträge gedeckt ist (einkommensproportionale Freibeträge). Favorit des Beirats ist die „modifizierte Erstragsanteilbesteuerung“. Hier würden die Zinsen besteuert, die die jahrelang gezahlten Beiträge abgeworfen haben - was in der Wirkung identisch mit dem Modell der einkommensproportionalen Freibeträge wäre. Von allen diskutierten Vorschlägen entsprechen diese Möglichkeiten am stärksten dem Leistungsprinzip in der Marktwirtschaft. In beiden Fällen wird vermieden, daß in der Rentenversicherung pauschaliert und umverteilt wird: Wer mehr gezahlt hat, bekommt mehr. Hier hat die oft beschworene Solidarität der Versicherten ihre engen Grenzen. Die Rentenversicherung wird in ihren alten Bahnen bleiben, in denen es keine Garantie auf Existenzsicherung im Alter gibt.
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