: Gewaltfreiheit auf der Anklagebank
■ Robert Jungk stand gestern wegen „Landfriedensbruchs“ und „Aufruf zur Gewalt“ in Hanau vor Gericht
Der Salzburger Zukunftsforscher und Atomkritiker Robert Jungk ist nicht nur bekannt dafür, daß er sich aktiv gegen die nukleare Gefahr einsetzt, sondern auch für sein Eintreten für Gewaltfreiheit. Das hat die Hanauer Justiz jedoch nicht davon abhalten können, im August vergangenen Jahres gegen Jungk Anklage zu erheben. Inkriminiert waren zwei Sätze aus der Rede Robert Jungks, die er anläßlich der Hanau–Demonstration am 8.November 1985 gehalten hatte und die, laut Staatsanwaltschaft, die Menschenmnge zu „Gewalttätigkeiten angeheizt“ haben soll. Eine ebenso absurde wie unwahre Behauptung. Doch das ficht Hanaus Justitia offenbar nicht an. Mit nicht zufällig verbundenen Augen griff sie wie üblich statt zu den Tätern des Atomskandals bei Nukem und Alkem zum Verkünder desselben.
Er fühle sich, sagte Robert Jungk gestern vormittag im Saal 113 des Hanauer Amtsgerichts, „wie in einem Traum, wie in einem absurden Theaterstück“: „Wachen wir doch auf und hören auf damit.“ Jungk wertete damit die Anklage, die ihm einen Verstoß gegen die Paragraphen 111 und 125.2 vorwarf, und ihn bezichtigte, zur Gewalt aufgerufen und den Landfrieden durch „Einwirkung auf die Menge“ gebrochen zu haben. Er habe dies am 8. November 1985 gegen 15 Uhr getan, als er bei einer Rede während einer Demonstration gegen die Atomfirmen in Hanau sagte, „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und „Gewaltfrei oder militant, Hauptsache ist der Widerstand“. Wenn den bis zur Mittagspause gehörten Polizeizeugen zu glauben ist, dann war die Demonstration gleichzeitig weitgehend gewaltfrei und dennoch gewalttätig, nämlich durch die circa „300 bis 1.000 Autonomen“, die Jungk zur Gewalt aufgerufen habe. Die Rede mit der seltsamen Wirkung, die im übrigen im gesamten Kontext zur Gewaltfreiheit aufrief, hatte zu Beginn bei gerade eben diesen Autonomen eher Buhrufe und Pfiffe ausgelöst. Einige wenige Autonome sollen, TeilnehmerInnen zufolge, gegen Ende zaghaft geklatscht haben. Schon vor der Demonstration war es mit ihnen zum Streit über die Teilnahme des Professors gekommen, der bei ihnen als prominenter Gewaltfreier mit seinen Thesen keinen Anklang fand. Wo fängt die Gewalt an? Ein Polizeizeuge, der nicht so recht an eine gewaltstiftende, initialzündende Wirkung der Jungkschen Worte glaubte, berichtete, es sei „vor, während und nach der Demonstration“ und nicht erst nach der Rede mit Feuerwerkskörpern und Steinen geworfen worden. Der Einsatzleiter der Hanauer Polizei, Huber, sah das allerdings anders. Er meinte ausgemacht zu haben, daß die „Gewalttätigkeiten“ während und nach der Jungk–Rede - kurz vor dem Ende der Demonstration - rapide zugenommen hätten. In Verlegenheit brachte der Zukunftsforscher einen Beamten, als er Motivationsforschung betrieb. Er befragte jenen Polizisten, dem am 8. November 1985 am Rande der Demonstration jene Pistole gestohlen wurde, aus der ein Jahr später die tödlichen Schüsse an der Startbahn West abgegeben wurden. Was die Polizei dazu treibe, sich in Zivil und bewaffnet unter Demonstranten zu mischen, ob sie die Gefahren dieser möglichen Provokation in der Ausbildung wenigstens diskutiere, wollte er wissen. Der Beamte, der den Professor im übrigen entlastete, blieb hier die Antwort schuldig. Robert Jungk erklärte ausführlich, er habe seine Rede gehalten, gerade um Gewalt zu verhindern, nicht aber, um Militante auszugrenzen. Sie seien nicht von Natur aus gewalttätige „Rabauken, sondern eher sensibel“. Von den „Gewalttätigkeiten“ habe er, der erst später dazu gekommen sei, nichts bemerkt. Den Widerstand gegen die lebenvernichtenden Atomfabriken Nukem und Alkem halte er allerdings geradezu für eine „heilige Pflicht“. Diejenigen, die sie täten, verträten auch „Ihre Interessen, Herr Richter, und Ihre Interessen, Herr Staatsanwalt“. Die schwierige Frage der Militanz Richter Buschbeck stöberte gemeinsam mit Jungk im Bildungsgut humanistischer Gymnasien auf der Suche nach dem Ursprung des Wortes „militant“, und ob es mehr habe vom „typisch deutschen“ Soldatischen oder aber eher Entschiedenheit meine. Verteidiger Rupert von Plottnitz schlug seinerseits die Interpreta tion des Duden von 1983 vor, die „entschiedenen Widerstand“ annimmt. Robert Jungk beweifelte sodann, daß „kaputt machen“ unbedingt heißen müsse, Straftaten zu begehen: „Kaputt gehen auch Firmen, kaputt gehen auch Ehen, kaputt geht auch der Staat, zum Beispiel in Schleswig–Holstein.“ Er bekenne sich allerdings „schuldig“, überspitzt formuliert zu haben. Das sei üblich bei Reden. Er habe die Menschen „aus ihrer furchtbar resignierten Verstummtheit“, die ihn an diesem Tage erschreckt habe, aufrütteln, ihnen Mut machen wollen. Die Staatsanwaltschaft aber habe seinen „Verzweiflungsschrei zu ei ner kriminellen Tat“ gemacht. Warum die Verteidigung einer Einstellung des Verfahrens nicht zugestimmt habe, die die Staatsanwaltschaft vorgeschlagen habe, erläuterte Rechtsanwalt von Plottnitz. Diese Einstellung hätte die „Anerkennung einer geringen Schuld“ ebenso vorausgesetzt wie das mangelnde Interesse für die Öffentlichkeit. Beides halte er nicht für gegeben. Das selektive Hören Drei der vier Anzeigen gegen Robert Jungk stammten von Polizeibeamten, eine vom Kreisverband der örtlichen CDU. Sie alle stützten sich auf Presseberichte über und einen Rundfunkmitschnitt von seiner Rede. Jungk schalt auch diese, weil sie sich ausgerechnet die inkriminierten Sätze herausgepickt habe. Auch der öffentliche Tadel, den Ex–Ministerpräsident Börner ihm habe zukommen lassen, sei nicht sehr hilfreich gewesen. Robert Jungk wurde während seiner Ausführungen oft von lautem Beifall begleitet. Richter Buschbeck sah darüber hinweg. Polizeibeamte besorgten auch bereitwillig einen großen Eimer mit Wasser, um die vielen Blumen zu versorgen, die ProzeßbesucherInnen ihm überreichten, darunter einen großen Strauß weißer Rosen, Osterglocken und Frühlingszweige. Heide Platen
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