: Polnische Arbeiter streiken weiter „illegal“
■ Werksleitung der Lenin–Hüttenwerke von Nova Huta bricht Gespräche mit Streikkomitee ab / Streiks gehen weiter / Polnische Arbeiterpartei bemüht sich, den Konflikt abzudämpfen / Bei hartem Vorgehen Ausweitung des Konflikts und politische Krise befürchtet
Berlin (rtr/ap/taz) - Auch nachdem die Direktion der Hüttenwerke am Donnerstag mit dem Einsatz von Bereitschaftspolizei gedroht hatte, ist gestern der Streik in der Nova Huta bei Krakau weitergegangen und sogar ausgeweitet worden. Inzwischen sollen 12.000 bis 16.000 der 32.000 Arbeiter in den Streik einbezogen sein. Die taz gab gestern die Informationen von Presseagenturen weiter, die schon für den ersten Tag des Streiks von 20.000 Teilnehmern gesprochen hatten. Als in der Nacht zum Donnerstag eine Erklärung der Staatsanwaltschaft verlesen wurde, die den Steik für illegal erklärt und Entlassungen den Streikenden angedroht hatte, traten weitere Abteilungen spontan in den Streik. Am Donnerstag sollen gemäß Informationen aus der Opposition neun von 20 Abteilungen am Streik teilgenommen haben. Druck von oben ist offenbar eine stumpfe Waffe für die Verantwortlichen zur Beendigung des Streiks geworden. Das scheint auch die politische Führung zu erkennen. In einer Erklärung vom Mittwoch zeigt sich das Politbüro über die Auswirkungen des Streiks besorgt und ruft die Unternehmen zu behutsamem Vorgehen gegenüber den Streikenden auf. Offensichtlich wird befürchtet, die Arbeitskonflikte könnten sich bei einem schärferen Vorgehen ausweiten und eine politische Krise herbeiführen. Dagegen sind Betriebsräte der von der Regierung unterstützten offiziellen Gewerkschaft in Nova Huta aktiv geworden. Sie versuchten, Fragebögen von den Ar beitern unterzeichnen zu lassen, um über die Motive des Streiks Aufschluß zu erhalten. Nach heftigen Protesten des 16köpfigen Streikkomitees jedoch, das vorwiegend aus Aktivisten der Solidarnosc besteht, verweigerten die meisten Arbeiter, die Fragebögen auszufüllen. Nachdem in der Nacht zum Donnerstag die Verhandlungen geplatzt sind, haben die Arbeiter ihre Forderungen erhöht und wollen nun 50 Prozent mehr Grundlohn (durchschnittlich 42.000 Zloty) sowie die Wiedereinstellung von vier entlassenen Solidarnoscaktivisten erreichen. Die Betriebsleitung hatte angeboten, die Löhne bis Oktober um 20.000 Zloty (etwa 50 DM) zu erhöhen. Außerdem soll es nach dem Willen der Streikenden eine automatische Angleichung der Löhne an die Preisentwicklung geben. Die Streikenden veröffentlichten eine Erklärung, in der der Regierung vorgeworfen wird, Millionen von Arbeitern an die Armutsgrenze geführt zu haben. „Unser Vertrauen in die Reformen der Partei ist erschöpft“, heißt es darin. „Das Leben hat einmal mehr bewiesen, daß die gewählten Vertreter der offiziellen Gewerkschaften nicht die Interessen der gesamten Arbeiterschaft vertreten“, schrieben die Streikenden weiter. Ausdrücklich bedankten sie sich beim Vorsitzenden der illegalen Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Walensa, für dessen öffentliche Unterstützung des Streiks. In Warschau wertete der Berater von Solidarnosc, Jacek Kuron, den Streik als grundsätzliches Dilemma für die Regierung. Gäbe sie nämlich den Streikenden nach, zöge dies einen Rattenschwanz von Arbeitskonflikten nach sich. „Bleibt sie aber hart, könnte es zu gewaltsameren Konfrontationen kommen.“ er DOKUMENTATION
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