: Kieler Wahlkampf: Hart an der Schmerzgrenze
■ Ein neuer Superstar und eine traurige Gestalt bestritten die Show / Am Ende fanden sie dann doch sachliche Differenzen / Gemeinsame Konsequenz aus der größten und erfolgreich verdrängten Staatsaffäre nach 1945: „Seid nett zueinander“
Aus Kiel Petra Bornhöft
Da kommt ER. Frisch gefönt und immer noch gebräunt, zwängt er sich durch die schwitzende Masse im Festzelt. „Rote Lippen soll man küssen“ schrammelt die lokale Combo, doch die Fans wollen ein Autogramm. Und ER schreibt sich die Finger wund, kritzelt auf Plakate, Postkarten oder direkt aufs T–Shirt „Für Bernd von Björn Engholm“. Die Dame neben ihm, designierte Finanzministerin, reicht dem Star ein Tempo–Tüchlein, bevor er ans Mikro tritt. In neun Minuten folgen Sätze, die halb Schleswig–Holstein seit Wochen hört: „Wir können erst Sonntag um 20 Uhr aufatmen, wenn feststeht, daß die CDU auf der Oppositionsbank sitzt, die FDP 4,99 Prozent erhielt und die Grünen ihre Fähigkeiten in der außerparlamentarischen Opposition weiter unter Beweis stellen.“ Rhythmisches Klatschen, dann das „Kufstein–Lied“ und weg ist ER. Bei der folgenden Kunstauktion gibt Prof. Schwichtenberg, Mitglied der Wählerinitiative, nach dem achten Plakat auf. Werke von Staeck oder Prechtl brachten in Kiel 300, im Dorf 28 DM. Zwischen Bier und Karussell wälzt sich das „Familienfest“ der 1.200 dahin. Jede Sekunde hart an der Schmerzgrenze - wie der gesamte Wahlkampf, in dem die FDP durch leises Keifen und die Grünen fast gar nicht auffielen. Wie gewohnt warb die SPD mit einer Mischung aus Politik, heimischer Volksmusik, Hamburger Hochkultur (selten) und Kabarett. Die CDU ließ ihren Spitzenkandidaten auf einem Korbstuhl durchs Land reisen. Zunächst rieben sich die Journalisten verwundert die Augen über den „neuen Stil“ des Mannes aus dem Barschel–Kabinett. Aber irgendwann fiel der Mangel an neuen Ideen, Sachkenntnis und Rhetorik auf. Immerhin hat die traurige Gestalt des Justizministers eins erreicht: Mitleid, nicht zu verwechseln mit Sympathie. Unklar, ob die CDU– Strategen bei der Entscheidung für den Kandidaten auf diesen Effekt setzten oder ob sie im Bewußtsein der möglichen Niederlage das stille Opfer aus Pommern auswählten. Sie waren nett zueinander, die beiden Kontrahenten. Fast rührend manchmal die Übereinstimmung der konkreten Wahlaussagen. Sozialdemokraten und Konservative sehen im Mittelstand das „Rückgrat“ der liebenswerten Heimat, wollen den „Hanse–Gedanken“ wieder beleben und die wirtschaftliche „Brücke nach Skandinavien“ ausbauen. Von soviel wirtschaftspolitischer Gemeinsamkeit in Dorfkrü gen und Hotels irritiert, suchte die CDU–Basis verzweifelt nach Streitpunkten. Sie stürzte sich auf den designierten Umweltminister, der das Angeln verbieten und die Jäger ausweisen wolle. Doch das Thema hielt sich nur kurz. Mit dem Hinweis auf die kräftige Körperfülle seines Landwirtschaftsministers Hans Wiesen beruhigte Engholm sportliche und bäuerliche Ängste vor dem Naturschützer Prof. Bernd Heydemann. Erfolgreich hobelte Engholm auch sozialdemokratische Kanten in der Energiepolitik weg. Ohne Not erteilte die CDU–Landesregierung dem AKW Krümmel drei Wochen vor der Wahl die Dauerbetriebsgenehmigung. Trotz des öffentlichen Protestes gegen die „Amtsanmaßung“ dürfte manchem Sozialdemokraten ein Stein vom Herzen geplumpst sein, denn die Entscheidung hätte kurz nach dem 8.Mai fallen müssen. Egal wer dann regiert, die drei AKWs bleiben vorläufig am Netz. Günter Jansen, zuständiger Minister in spe, wollte ursprünglich das „Rechtsrisiko“ eingehen und die Meiler im „Sofortvollzug“ noch während der juristischen Auseindersetzungen abschalten. Engholm stellte das „Mißverständnis“ klar: Die SPD will innerhalb von acht Jahren aussteigen, aber die Gerichte werden entscheiden - „wann das sein wird, kann niemand sagen“. Diese vage Position ist gleichwohl präziser als das CDU–Gerede von der „Übergangsenergie“. Hoffmanns letztes Argument, die Sorge vor Schadensersatzansprüchen der Betreiber, wischte Engholm beim Kamingespräch vor der NDR–Ka mera jovial weg: „Aber Herr Kollege, Sie können mir glauben, wir werden nicht den schadenser satzpflichtigen Weg gehen.“ Da fiel dem Konservativen nichts mehr ein. Rasch wechselte Hoffmann zur Schulpolitik, dem größten CDU–Popanz des Wahlkampfes. Die SPD will an „ganz wenigen Standorten interessierten Eltern und Schulträgern die Möglichkeit einräumen, eine Gesamtschule einzurichten“. Genaue Bedingungen läßt sie - nach zwei auch wegen dieser Frage verlorenen Wahlkämpfen - offen, und das reichte der CDU, in jedem Dorf zu behaupten, die Sozis wollten alle Hauptschulen schließen. So quälte sich der Wahlkampf durch die Provinz, in der die „schlimmen Dinge um Herrn Barschel und Pfeiffer“ (CDU) „verarbeitet“ (SPD) sind. Alle wissen vom Skandal, jeder denkt dran, aber keiner spricht drüber, Schriftsteller und Theaterleute ausgenommen. Die CDU nicht, weil sie nur den Tonfall änderte, die SPD nicht, weil sie sich nach 38 Oppositionsjahren genug Schwielen angesessen hat. Staatsmännisch und -tragend verkündete Engholm den Anbruch des „Zeitalters der Bescheidenheit und Beherrschung“. Und dem Publikum im Norden ist schließlich nicht entgangen, daß die strukturelle Verfilzung von Partei und Staat in Düsseldorf oder Hamburg ähnlich funktioniert wie an der Förde. So wundert es nicht, daß die SPD kaum zur Kenntnis nahm, als die geschäftsführende Landesregierung letzte Woche mitteilte, nur gegen einen von 28 aufgefallenen Barschel–Helfern ein Disziplinarverfahren eingeleitet zu haben. Einer flog, das war Pfeiffer. Innenminister Claussen, der in Barschels Auftrag „Unabhängige“ und Grüne hatte ausspionieren lassen, gehört zu Hoffmanns Führungsmannschaft, deren Mehrzahl dem Verstorbenen zu Diensten war. Sie werden vermutlich nicht weiter regieren. Sollte Engholm das Rennen machen, dann wird es nicht lange dauern, bis der Star von der Waterkant als SPD–Kanzlerkandidat für 1990 ins Gespräch kommt. Gefeiert wurde in Neumünster schon am Donnerstag. 5.000 Menschen jubelten IHM zu und zündeten Wunderkerzen an. Schleswig–Holstein ist eben doch noch für eine Überraschung gut - und sei es nur, daß Weihnachten auf den 5.Mai fiel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen