: „Die Ärztekammer setzt auf Entsolidarisierung“
■ Dr. David Klemperer von der Ärztekammer Nordrhein ist einer der Delegierten der oppositionellen Listen auf dem Ärztetag / „Der Ärztetag hat überwiegend Propagandafunktion für die Belange der Ärzteschaft“
taz: Du bist Mitglied der oppositionellen ÄrzKlemperer: Das diskutieren wir unter uns natürlich auch. Aber wir gehen davon aus, daß wir hier Artikulationsmöglichkeiten für unsere Positionen haben, die wir nutzen müssen - und wir finden es auch falsch, daß es auf dem Ärztetag so aussieht, als ob die gesamte Ärzteschaft geschlossen Stellung zu gesundheitspolitischen Fragen bezieht. Du bist das dritte Mal Delegierter auf einem Ärztetag. Hat sich denn im Vergleich zum erDie Ausgrenzung hat anfangs sehr viel striktere Formen gehabt, mittlerweile gibt es auch Integrationsbemühungen. Aber wir haben immer noch keine akzeptablen Möglichkeiten, unsere Standpunkte zu formulieren. Beispielsweise konnte vorgestern der Ärztekammerpräsident Vilmar seinen Antrag zur Strukturreform im Gesundheitswesen 40 Minuten lang begründen - uns wurden für die Vorstellung unseres Alternativantrages gerade mal drei Minuten Zeit gegeben. In der Frage der Strukturreform im Gesundheitswesen gibt es aber doch GemeinsamDas stimmt nur ein bißchen. Sicher haben auch Leute wie Vilmar mittlerweile die Erkenntnis gewonnen, daß die sogenannte Kostenexplosion nur eine Lüge ist und die Finanzkrise der Krankenversicherung Folge der Sanierung der Rentenversicherung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ist. Aber wir sind uns in der Frage der Konsequenzen völlig uneinig. Die Bundesärztekammer hat vor allem eine Bestandssicherung der eigenen Situation im Auge - da setzt auch ihre Kritik an Blüm an. Was wäre das beispielsweise für ein Bereich? Die Verdatung bei der Abrechnung, die eine bessere Kontrolle der erbrachten Leistungen durch die Kassen ermöglicht. Vor einem Jahr hat der Ärztetag noch in einer Resolution die Volkszählung begrüßt, und heute wird massiv Kritik an der Datensammelei geübt und vor dem Überwachungsstaat gewarnt. Da sind deren Interessen doch sehr durchsichtig. Wir sind natürlich, so wie wir gegen die Volkszählung waren, auch gegen eine Verdatung - aber unser Interesse ist anders gelagert, weil es uns darauf ankommt, die Patientendaten zu schützen. Insgesamt setzt die Bundesärztekammer bei ihren strukturpolitischen Vorstellungen weiter auf Entsolidarisierung, in den Gesetzlichen Krankenversicherungen zum Beispiel durch Wahltarife und individuelle Zuzahlungen bei Arzneimitteln. Wenn man sich das knapp gehaltene Programm des Ärztetages und die vielen Seiten Freizeitangebot anschaut, dann fragt man sich, ob der Ärztetag eigentlich mehr ein geDer Ärztetag hat meiner Einschätzung zufolge ein großes Forum für die Belange der Ärzteschaft zu bieten - und vor allem einen Anlaß für die Medien, darüber zu berichten. Er hat also überwiegend eine Propagandafunktion - wenngleich dieses Jahr die Resonanz schwächer ist als sonst. In West–Berlin hat es die Fraktion Gesundheit geschafft, den Präsidenten der LandesKurz– und mittelfristig ganz sicher nicht. Das Gespräch führte Oliver Tolmein
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen