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Armenien: Politische Lösung statt Prozesse

■ Neue Proteste in Eriwan finden Beachtung in der sowjetischen Presse / Auch Krimtataren werden aktiv / Demonstranten in Aserbeidjan fordern milde Strafen für die wegen des Pogroms an Armeniern im Februar in Sumgait Verhafteten

Berlin (afp/rtr/taz) - Erneut sind in Eriwan Tausende von Armeniern am Dienstag und Mittwoch auf die Straße gegangen, um für den Anschluß der autonomen Region Berg–Karabach an Armenien zu demonstrieren. Anlaß war die Verurteilung des Aserbeidjaners Ismailow zu 15 Jahren Gefängnis wegen dessen Teilnahme an den Armenierpogromen in Sumgait im Februar dieses Jahres. Nach Angaben oppositioneller Kreise in Moskau forderten die Demonstranten eine tiefere Behandlung des Problems, als nur einige Täter abzuurteilen. „Die Demonstranten wollen eine radikale politische Lösung und glauben nicht, daß der Gerichtsweg der richtige ist“, erklärte der Redakteur der Oppositionszeitschrift Express Chronica. Er berichtete auch von Demonstrationen in Stepanakert in Berg–Karabach. Dagegen forderten ungefähr 5.000 aserbeidjanische Studenten am Montag und am Dienstag in Baku, der Hauptstadt Aserbeidjans, nur milde Strafen für die Angeklagten. Auf Spruchbändern verlangten sie „Keine Todesstrafe in Sumgait“. Seit dem Mittwoch vergangener Woche hat gegen eine Reihe von Prozessen gegen Teilnehmer an den Pogromen begonnen. Waren die Demonstrationen im Februar von der sowjetischen Presse noch unterdrückt oder mit antiarmenischen Akzenten versehen worden, so scheint sich jetzt die Lage verändert zu haben: Die Kundgebung vom Mittwoch wurde am Donnerstag offiziell bestätigt, im armenischen Fernsehen wurde berichtet und in den Zeitungen wurden Forderungen der Demonstranten veröffentlicht. In der Moscow News sogar eine deutliche Kritik an den aserbeidjanischen Behörden geübt. In einer peniblen Beschreibung der gräßlichen Einzelheiten, wie jugendliche Banden drei Tage lang Armenier quälten, vergewaltigten und töteten, weist das von der Presseagentur Nowosti herausgegebene Blatt der Polizei ein klares Versagen und somit eine Mitverantwortung an dem Massaker zu. Auch die von Stalin aus ihrer Heimat vertriebenen Krimtataren demonstrieren weiter öffentlich für ihre Forderung, auf die Krim zurückkehren zu dürfen. Auf einer Gedenkveranstaltung zum 44. Jahrestag ihrer Vertreibung sind am Mittwoch 2.000 Krimtataren in der usbekischen Stadt Safar von der Polizei unbehelligt zusammengetroffen. Auch eine Aktion von 40 Krimtataren vor dem Bolschoitheater in Moskau blieb unbehindert. Dagegen sollen Krimtataren, die auf die Krim reisen wollten, von der Polizei und der Miliz daran gehindert worden sein. Dagegen haben am Mittwoch 1.000 Menschen in der südrussischen Stadt Abinsk protestiert. er

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