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■ LOKALTERMIN12. DURCHGANG

L O K A L T E R M I N 1 2 . D U R C H G A N G Nachdem ich mich nun als Wiederbesitzer des Schließfachschlüssels bezeichnen konnte, hatte ich mir eine Ruhepause verdient. Und in der pflege ich meist gut essen zu gehen. Ich bestellte einen Tisch für zwei Personen in einem Restaurant in der Nähe des Kurfürstendamms. Blind vor Hunger eilte ich durch den Schankraum nach hinten. Die Freundin saß schon am vorgedeckten Tisch und studierte die schwarzlackierte Speisekarte.

„Hallo“, begrüßte ich sie. Sie blickte kurz hoch und nickte kurz. Sie sah blaß aus, und ich meinte sogar so etwas wie Entsetzen in ihren Augen zu erkennen. Lag das an den Preisen? Ich setzte mich ebenfalls und öffnete die Karte. Auf der ersten Seite erklärte die Schrift, daß es sich hier um Kunst a la Carte handeln würde und wünschte mir „in malerischer Atmosphäre“ einen recht guten Appetit. Für die Atmosphäre hatte ich aber noch keine Zeit, ich konzentrierte mich lieber auf die Vorspeise und entschied mich für gebratene Entenbrust auf Zuckerschoten mit Estragonschaum. Meine Suppe hieß dann Maiscremesuppe mit Lauchstreifen, als Zwischenmahlzeit wählte ich überbackene Auberginen auf Büffelmozzarella und das Hauptgericht bestand aus pochiertem Rinderfilet an Käseknoblauchsoße mit hausgemachten Spinatküchlein. Die Freundin bestellte Garnelen „Provincial“ mit Butterreistimbal. Ich wollte das Gespräch natürlich auf mein Lieblingsthema Marion und Hamster lenken, doch bevor ich etwas sagen konnte, schaute mich die Freundin mit großen Augen an und fragte: „Hast du dich noch gar nicht umgeschaut?“

Das tat ich. Jetzt wurde ich des Wahnsinns ansichtig. Die Kunst a la Carte als dramatischer Albtraum. Die Wände voll. Materialien aus den Müllhaufen. Provokationen aus dem Alltag. Scheinbar willkürlich und niemals zueinander passende Gegenstände bildeten dreidimensionale Kollagen. Wrackteile und Phallussymbole überall. Direkt neben mir an der Wand hing eine gegerbte Perserjacke, aus der das Blut herauszulaufen schien. Ich vermutete, di rekt auf meine Zuckerschoten, wenn sie mal kommen würden. „Du“, sagte ich zu meiner Freundin, „ich geh‘ mal auf's Klo.“ „Tu das nicht“, beschwor sie mich und in ihren Augen stand jetzt Angst Quadrat. „Ich war auch schon auf dem Klo. Dort rotierte ein Dildo wie ein Ventilator an der Decke. Ich habe ihn runtergerissen. Er befindet sich jetzt in meiner Tasche.“ Ich sprang auf. Im Flur knallte ich gegen einen Turm Batterien. Im Män nerabteil hing ein Ei auf der Schaukel. Abgerissene Fahrstuhlamaturen zierten das Waschbecken. Das Klopapier war gerahmt. Ich schändete das Kunstwerk und riß drei Blätter zur Verwendung ab. Nach kurzer Zeit bereute ich die Tat und hing sie wieder auf. Schließlich bin ich ein Freund der Kunst, auch wenn sie für Restaurant-Verhältnisse schwer verdaulich ist. Der Künstler, ein gewisser Herr Fell, wie man mir später versicherte, füllte das Lokal mit seiner unendlichen Lust auf vergewaltigte Materialien, daß mir kaum Platz im Magen blieb. Den flambierten Walnußbananen konnte ich denn doch nicht widerstehen.Thomas Böhm

Transfer, Fasanenstr. 40, 1-15, Tel.: 883 18 96.

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