: Vollmundig gegen Algenpest
■ Neue schleswig-holsteinische Landesregierung präsentiert sich als zupackendes Katastrophen-Management / Gleichzeitig wird Tourismus-Branche Rücken gestärkt
Vollmundig gegen Algenpest
Neue schleswig-holsteinische Landesregierung präsentiert
sich als zupackendes
Katastrophen-Management / Gleichzeitig wird Tourismus
-Branche Rücken gestärkt
Kiel (taz) - 65 Stunden nach Amtsantritt bemüht sich die neue schleswig-holsteinische Landesregierung um konkretes Katastrophen-Management. Auf zwei Konferenzen wurden gestern Konzepte gegen Meeresverschmutzung und Seehundsterben beraten. Eine Konferenz von 40 Wasser- und Agrarexperten sowie Industriellen schlug Verbesserungen für Klärwerke und sparsameren Düngemitteleinsatz vor. Ein gleichzeitig stattfindendes internationales Wissenschaftlertreffen suchte unter anderem nach medizinischen Behandlungsmöglichkeiten für kranke Seehunde.
Innerhalb von zwei Wochen will Schleswig-Holsteins neuer Umweltminister Berndt Heydemann darüber informiert werden, was die Ausrüstung der 31 größten Klärwerke Schleswig -Holsteins mit Phosphat-Rückhalteanlagen kostet. Wichtiger sei es, den Stickstoff aus dem geklärten Abwasser zu entfernen. Das jedoch würde allein für Schleswig-Holstein unbezahlbare 400 Mio. Mark kosten und sei auch technisch nicht ausgereift. Fortsetzung auf Seite 2
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Kiel...
Entlang von Bächen und Flüssen sollen die Landwirte Äcker in Wiesen und Weiden umwandeln und Dünger sparen, schlugen die Agrarexperten vor.
Für Einnahmeausfälle müsse das Land aufkommen. Weiterhin soll an Elbe und Nordsee das Fassungsvermögen von Regenwasserrückhaltebecken und Speicherkögen geprüft werden, um düngemittelhaltiges Wasser möglichst erst im Winter in die Nordsee zu entlassen. Heydemann hofft, daß die Nachbarländer und -staaten dies nachahmen werden .
Auf der Wissenschaftlertagung war der Nutzen von medizinischer Soforthilfe und langfristigen Schutzkonzepten für Seehunde umstritten. Aufzuchtstationen für kranke Tiere wurden ebenso gefordert wie mehr Abschuß durch Jäger, weil es angeblich zu viele Seehunde gebe. Ferner sollen mehr Sandbänke als Ruhezonen für Seehunde reserviert werden.
Wegen des nur 18 Promille betragenden Salzgehalts des Wasers der Kieler Bucht sei nicht damit zu rechnen, daß die giftige Planktonalge Chrysochromulina polylepis - die an Nordseewasser von höherem Salzgehalt angepaßt sei - an den deutschen Ostseeküsten überleben könne. Weiter meinte Heydemann, daß die Massenvermehrung dieser Alge eher durch Ammonium-Stickstoff aus Klärwerken als durch Nitrat -Stickstoff aus der Landwirtschaft verursacht worden sei.
Die Algengefahr hat sich insgesamt nach Aussagen der Wissenschaftler, stark verringert.
Nach Berichten aus Norwegen und Dänemark (s. Seite 7) hat sich die Algenkonzentration im Waser weiter verdünnt. Eine neue Phase der Katastrophe erscheint jedoch nicht ausgeschlossen.
Die Algen sinken auf den Meeresgrund ab und sterben dort unter hohem Verbrauch von Sauerstoff, der auch für die Fische lebensnotwendig ist. Unmittelbar vor Beginn der Bade -Saison stärkte Heydemann der Tourismus-Branche den Rücken. Weder das Algenwachstum noch das Robbensterben sei eine Gefahr für Urlauber und Badende. Es gebe keine Bedenken, die Erholungsmöglichkeiten im Wattenmeer zu nutzen. Der Umweltminister beklagte eine Verunsicherung von Nordsee -Urlaubern durch die Berichterstattung der letzten Tage.
Auch der neue Kieler Landwirtschaftsminister Hans Wiesen stieg in den Ring und kündigte eine Gülleverordnung für das nördlichste Bundesland an, um die Schadstoffbelastung durch die Landwirtschaft zu verringern.
Wiesen wandte sich zugleich gegen die Aussage von Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle, ausgewaschene Düngemittel trügen nicht zur Gewässerbelastung bei. Es gebe viele Belastungsquellen, und eine davon sei die Landwirtschaft, meinte Wiesen.
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