: SCHRECKLICHES PARADIES
■ Nico bei Fata Morgana im Planetarium
SCHRECKLICHES PARADIES
Nico bei „Fata Morgana“ im Planetarium
Wachträume von einem Konzert mit Nico: Der freie Sternenhimmel am der Kuppel, eine Kirche ohne Religion, eine Gemeinde, die zuhören kann. Nico als bleiche Göttin des Mondes, „Janitor of Lunacy“, nur am Harmonium sitzend, singt sie ihre Hymnen an die Nacht. Keine alten Velvet Underground -Fans, die beständig nach ihrer „Femme fatale“ schreien, keine splitternden Plastikbecher in der Stille ihrer Stimme. Vielleicht hat Lutz Ulbrich, ein früherer Freund Nicos, die Reihe „Fata Morgana“ nur geschaffen, um Nico über „Steinwüste/Mond“ träumen zu lassen. Bilder von der kreisenden Erde, von Mondlandschaften, Sternen, die durch die Kuppel rasen und doch unendliche Ruhe ausstrahlen, Mondkrater, die vertraut und doch so fremd bleiben wie Nicos Stimme, Musikbilder, die zugleich nah und fern sind. Eine Stunde Musik. Nico verbindet die einzelnen Stücke, die offenbar für dieses Konzert neu geschrieben wurden, auf dem Harmonium, hält den Klang, zieht die Lieder ineinander. Lange Instrumentalpassagen, durch die immer wieder ihre Stimme weht, Litaneien schöner Einsamkeiten.
James Young an den Keyboards, im langen Frackmantel, hager und überlebensgroß, spielt Repetitionen kleinster Tonschritte, setzt die Schwerpunkte in Nicos getragenen Akkorden. Graham Dowdell's rhythmische Schattenspiele am Schlagzeug sind scharf und doch voll und dunkel, Pferdehufrhythmen der Tuaregs am Horizont. Henry Leycock's Gitarre löst sich nur sporadisch mit melodischen Blitzlichtern aus dem Dunkeln und taucht dann wieder in die Karawane ein. Man litt im Sessel, beobachtet die Sterne, dreht den Kopf seitwärts, um die durch kleine blau Lichter beleuchtete Gruppe zu beobachten, hört die Musik, sieht den Himmel. Alles wird eins, und es wird eintönig. Soll man schauen oder zuhören oder denken? Es muß schrecklich sein im Paradies. Es gibt keine Brüche, keine Aggressionen, die Symbiose ist vollkommen. der ideale Zustand: künstlich projizierte Natur, es wird nicht kalt, nicht feucht, keine lästigen Käfer, man sitzt bequem, die ideale Musik im Kopf, weit und nah. Ob man hundert Meilen durch menschenleere Steinwüsten fährt oder mit dem Gesicht im Sand liegt - es macht keinen Unterschied. Nur bitte keine Steinwüsten- oder Sandmusik dazu. Den Astronauten der Mond und Nico das Quartier Latin. Ich habe mich nach den Leuten gesehnt, die ich immer so unmöglich fand, den Zwischenrufern, den bierseligen Trampeln, dem Bravo und den Pfiffen, dem Kampf Nicos mit ihrem Publikum, gehaßt und geliebt. Es war ruhig im Planetarium. Die Akustik ist zu gut, daß man sich kaum zu klatschen traut. Es hätte auch nicht gepaßt. Den Mond und die Wüste kann man nicht beklatschen. Konrad Heidkamp
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