: Selbstjustiz: mit Buttersäure gegen Latten
■ Wenige Tage nach einem taz-Artikel über eine angebliche Bürgerwehr , die am 1. Mai aus einem Tabakladen heraus vor der Polizei fliehende Demonstranten mit Latten und Stangen attackiert haben sol
Selbstjustiz: mit Buttersäure gegen Latten
Wenige Tage nach einem taz-Artikel über eine angebliche
„Bürgerwehr“, die am 1. Mai aus einem Tabakladen heraus vor der Polizei fliehende Demonstranten mit Latten und Stangen attackiert haben soll, wurde auf das kleine Geschäft am
Lausitzer Platz ein Buttersäure-Anschlag verübt /
Ladenbesitzer bestreitet die Vorwürfe, Augenzeugen halten an ihrer Darstellung fest / Staatsschutz stellte Ermittlungen ein / Begriff „organisierte Bürgerwehr“ als unzulässige
Stigmatisierung bezeichnet
Im Zusammenhang mit den Unruhen vom 1. Mai hatte die taz berichtet, daß Kreuzberger Bürger mit Knüppeln auf vor der Polizei fliehende Passanten eingeschlagen hatten. In dem Artikel mit der Überschrift „Wir sind die Kreuzberger Bürgerwehr“ war von einem Tabakladen am Lausitzer Platz die Rede, der einigen Schlägern laut Zeugenaussagen als Ausgangs - und Rückzugsort gedient haben soll. Wenige Tage nach dem Erscheinen des Artikels wurde auf den Tabakladen ein Buttersäureanschlag verübt (siehe Bekennerschreiben).
Der Besitzer des Ladens, Siegfrid N., - er betreibt das Geschäft am Lausitzer Platz seit zehn Jahren - bestritt die Vorwürfe gegenüber der taz entschieden: „Von uns aus mit Knüppeln rumgelaufen oder geschlagen hat keiner. Wir sind nur einmal rausgegangen und haben brennende Kartons, die unter mein Auto geschoben worden waren, weggezogen. Ich bin immer gut mit Punkern und solchen Leuten ausgekommen.“
Im übrigen bezeichnete er sich selbst als „einen sehr humanen Menschen“, der „für vieles Verständnis“ habe, aber wohl nicht dafür, „daß kleine Läden, wie meiner bei den Mai -Krawallen im vergangenen Jahr, zerstört werden. Um uns gegen so was zu wehren, dafür haben wir die Polizei.“ Auf die Frage, warum er denn nicht mit allen Mitteln gegen die seiner Ansicht nach falsche Darstellung in der taz vorgegangen sei, erklärte er dann folgendes: „Ich habe gedacht, nicht noch mehr aufrühren, laß es ruhen. Mit den Kunden, die mich seit Jahren kennen, darüber zu diskutieren, war mir wichtiger.“
Augenzeugen des Vorfalls - von der taz mit den Angaben des Tabkakhändlers konfrontiert - blieben bei ihren früheren Angaben. So will eine Frau aus unmittelbarer Nähe beoabachtet haben, daß „die Leute, die sonst immer im Laden verkaufen, dicht an der Hauswand neben dem Geschäft gestanden und mit Stangen und Latten“ auf ein Fahrrad eingeschlagen hätten.
Eine andere Zeugin bestätigte gleichfalls, daß Leute, die ihrer Ansicht nach zum Tabakladen gehörten, mit Stangen bewaffnet gewesen seien: „Sie sind in den Laden rein- und rausgelaufen.“ Ein Mann, der eine präzise Beschreibung einiger Schläger abzugeben wußte, erklärte, die vier Männer hätten auf von der Polizei am Laden vorbeigetriebene Passanten mit Knüppeln eingeschlagen. In Ruhepausen, so der Zeuge, hätten die Schläger an der halbheruntergelassenen Ladentür gestanden und von draußen beim Verkauf von Zigaretten, Getränken und bei der Empfangnahme des Geldes assistiert.
Der Staatsschutz, der wie berichtet in dieser Angelegenheit ermittelte, erklärte auf Nachfrage, der behauptete Sachverhalt einer Mittäterschaft des Tabakladens habe sich unterdessen nicht bestätigt. Insofern seien die Ermittlungen abgeschlossen, es sei denn, es würden sich doch noch neue Erkentnisse ergeben. Der taz-Bericht habe nur insofern verifiziert werden können, als unstrittig sei, daß aus dem Laden Leute herausgelaufen seien. Der Staatsschutzbeamte Kaiser wies daraufhin, daß sich keine einzige Person, die von etwaigen Schlägern verletzt worden sei, als Zeuge bei der Polizei gemeldet habe.
Auch umfangreiche Recherchen nach den Verletzten bei Krankenhäusern und Feuerwehr seien ohne Ergebnis geblieben. Der im Zusammenhang mit den Vorkommnissen verwendete Begriff „organisierte Bürgerwehr“ wurde von dem Staatsschutzbeamten als eine unzulässige Stigmatisierung bezeichnet, für die es keinerlei Anhaltspunkte gebe. „Es mag sein“, so Kaiser, „daß sich der eine oder andere Bürger gewehrt hat.“ Bezüglich des Buttersäureanschlags auf den Tabakladen und des Bekennerschreibens werde gleichfalls von Amts wegen ermittelt.
Der Tabakladen dürfe außerdem kein „zweites Maxwell“ werden, erklärte Kaiser.plu
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