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Auf Vernunft aufbauen -betr.: "Unberechenbar", Kommentar, taz vom 3.6.88

Auf Vernunft aufbauen

betr.: „Unberechenbar“, Kommentar, taz vom 3.6.88

Staunen... nicht erklären... Ratlos... hoffen... Die Natur läßt sich nicht berechnen. Diese Banalität... nicht auf Logik und Linearität - wenn einem aus der taz der Zeitgeist entgegenschlägt, dann aus solchen in dem Kommentar von Martina Kirfel geballt vorkommenden Formulierungen. Fast hat man den Eindruck, die Autorin atmet auf bei dem Gedanken, endlich einen Beweis für die Unberechenbarkeit der Natur gefunden zu haben. Weg mit der Wissenschaft - her mit dem Naturfeeling. Jetzt haben wir den Beweis für die Göttlichkeit der Nordsee in der Hand.

Das Peinliche an dieser Haltung ist, daß sie den Naturwissenschaftsbegriff des 19. Jahrhunderts kritisiert. Man kann der modernen Naturwissenschaft nicht ankreiden, sie würde Zusammenhänge in komplizierten vernetzten Systemen ignorieren. Es ist heute sogar möglich, mit diesen Zusammenhängen zu rechnen. Populärwissenschaftlich wird dieser Ansatz zum Beispiel von F. Vester vertreten. Das heißt aber auch: Es ist eine Ausrede, wenn Naturwissenschaftler sagen, sie hätten das nicht wissen können. Wir haben es gewußt.

Politisch ist MKs Haltung schädlich, weil irrational. Die Öko-Bewegung hat einmal damit angefangen, für einen vernünftigen Umgang mit der Natur zu kämpfen. Jetzt sind wir bei der allgemeinen Vernunftkritik angelangt. Politisches demokratisches Handeln - auch in der Linken - muß aber auf Vernunft aufbauen. Wie soll man sonst streiten und sich einigen können? Diese Banalität ist hierzulande weithin unbekannt. In Deutschland ist es leichter als anderswo möglich, politische Bewegungen mit dem „richtigen“ romantischen Feeling loszutreten. Im günstigsten Fall versickern diese Strömungen in Beliebigkeiten (wie zur Zeit bei den Grünen zu sehen). Schlimmstenfalls gewinnen sie Macht. Dann ist mit Demokratie und Liberalität nicht mehr viel los. Klaus Füller, Kassel

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