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■ L O K A L T E R M I NHarry's New York Bar im Grand Hotel Esplanade

Nachdem mir Marion im Cha Cha den Schließfachschlüssel ohne Hamster gegeben hatte, konnte ich jetzt endlich das Schließfach im Bahnhof öffnen. Eine pralllgefüllte Plastiktüte leuchtete mir entgegen. Prallgefüllt mit Hamsterködel. Ich zählte nach, sie waren gottseidank alle noch da. Ich legte sie behutsam in ein anderes Fach weiter unten, steckte eine Münze in den Schlitz und den neuen Schlüssel in die Tasche.

Draußen regnete es Vollkornspaghetti, die nach mehreren hundert Gramm mein Hochgefühl wieder in Melancholie umschlagene ließen. So strich ich am Ufer entlang, bis ich den roten Teppich erreichte. Durch die Drehtür gelangte ich in die Lobby. Weit hinten am Horizont der Marmorhalle waren mehrere Empfangsdamen damit beschäftigt, einen älteren Geschäftsmann einzuchecken. Ich wandte mich nach links, und siehe da, mein Instinkt hatte mich mal wieder nicht getäuscht, ich stand in einer Bar, der räumliche Ausdruck meiner Melancholie. Links führte der helle Tresen ins Unendliche. Die gutplazierten Sitzgruppen aus rotem Barleder wirkten noch jungfräulich rein. In der Mitte des Raumes dominierte der schwarze Flügel. Der blonde Pianist blickte kurz hoch und schickte dann mit neuem Schwung ein paar kleine Melodien in den Raum. Die Bar gehörte mir allein, und die Cocktailkarte glich einem Geschichtsbuch, erzählte mir, daß hier der Bloody Mary erfunden wurde und prahlte mit den Anlässen solcher Kreationen.

Sollte ich mich für den Philosophen, entwickelt zum Bundeskanzlerfest 1978, entscheiden? Aber mir war dieser Kanzler schon immer etwas zu trocken gewesen. Also Bloody Mary. Der Keeper blickte bei der Bestellung höflich gelangweilt an den unteren Rand meiner Brillengläser und vollführte die blutige Tat wie ein Chirurg. Zwei neue Klaviertöne rollten über den weichen Teppich. Der Geschäftsmann erschien und verlangte eine Berliner Weiße mit Schuß. Ich grabschte in die Nußbar. Der Keeper verzog keine Miene. Nur die siebte Wimper von rechts über seinem linken Auge sprang aus der Halterung. Aber das kriegte der mit Schuß nicht mit. Ich klebte mir das Glas an die Lippen. Eine kleine runde Scherbe blieb daran hängen. Der Rest verteilte sich wie ein explodiertes gläsernes Puzzle über den Tresen. Die rote Suppe verteilte sich auf mein weißes T-Shirt. Ich spuckte die Scherbe aus. Im Fallen konnte ich aus den Augenwinkeln erkennen, daß der Typ, der gerade auf mich geschossen hatte, einen weißen Motorradanzug und einen weißen Helm trug. Der schwarze Revolver leuchtete in den weißen Handschuhen. Aber er schoß nicht mehr. Er verschwand. Der Geschäftsmann schrie „Scheisse“ und wies auf seinen Barhocker, der Keeper verzog immer noch keine Miene, obwohl er sich in den Finger geschnitten hatte, aber der Klavierspieler improvisierte eine Gershwinmelodie auf Sex -Pistols-Basis. Ich zahlte, rannte aus der Bar, konnte aber nur noch die Rücklichter eines Motorrades erkennen. Dafür lag ein Zettel in der Drehtür. Ich hob ihn auf und mußte lesen: „Das war eine Warnung. Der Ködel ist des Hamsters Kot. Die Tüte voll, die macht dich tot. „Thomas Böhm

Harry's New York Bar im Grand Hotel Esplanade, Lützowufer 105

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