: FÜHRER WAR ALLES BESSER
■ „Pink Floyd“ vor dem Reichstag
Der erste Kuß, das Herz hämmert und schlägt, Blicke bis auf den Grund, Suchen, Tasten, Lachen, Erstaunen, oh, so ist das also. Wie du dich anfühlst, so weich und so heiß und so gut. Nadelstiche überallüberallüberall, pjiuuh dreht sich alles, Schwindel, Taumel, kommküßmichnochmal. Tickin‘ away the moments that make up a dull day...
Der erste Joint, die panische Angst der Alten, von keiner Erkenntnis getrübt: Wer Haschisch spritzt, der raucht auch Heroin! Welcome to the machine.
Das erste „richtich große“ Konzert, Doatmunt, Westfalenhalle, Pink Floyd, Pigs on the wing-Tour, Augen, Mund, Seele offen, staun, kuck, oooh. Haschischschwaden, Leuchtschmuck-, Klamotten- und Religionsverkäufer, Money, it's a gas, Seliglächeln, eymanneystarkey, eymanneyechtdufte. Have a Cigar.
Sitzparties, Keller, Matratzen, die Bröselfraktion erweitert rauchend die Pupillen und das Bewußtsein, und hinterher erzählt man sich seine tollen Träume, die alle gleich aussehen. How I wihihish, how I wish you were hehehere...
Pink Floyd hatten immer für jedes Gefühl den richtigen Song, immer im neusten Sound, das saß so angegossen wie die knallenge Jeans mit Dreimeterschlag. Etwas Angst, bißchen Verzweiflung, Bösewelt und schlimme Träume, die Heim -Psychoanalyse für Mittelklassekinder, erst etwas wachschrecken, dann wieder in den Schlaf singsangen.
Remember when you were young... - der erste Song am Donnerstag abend vor dem Reichstag, Shine on you crazy diamond,, sagt, worum es geht. Viele sind gekommen, um per Erinnerung die so offensichtlich verlorene, verratene und verkaufte Jugend zurückzuerwerben (zwei Stunden Lebensgefühl für 52 Mark), andere werden von alten Bildern überrascht. Der Sound ist der alte, Pink Floyd sind vor langer Zeit stehengeblieben, ihre neue Platte ist ein inspirationsloses Wiederaufnahmeprodukt, aber die Tonqualität vor dem Reichstag ist wirklich gut, die alten Lieder klingen genauso, wie man sie von früher her im Ohr hat. Die größte Bühne, die meisten Trucks, das Gestänge, das Dach, der bombastische Aufwand - all das wohlfeile PR-Geschwätz von der überdimensionalen Bühnenshow usw. ist ohne Belang, an diesem Abend geht es ums selige Versinken, für das Musik und Lichteffekte die Vehikel sind. Es gibt Laser, Licht und Dampf, die Flugzeuge malen Streifen in den Himmel, als wären sie dafür bestellt, ein ramponierter Vogel, ein großes Plastikschwein und ein Krankenhausbett sausen per Kran und Seilwinde durch die Luft, und auf der großen, runden Leinwand in der Bühnenmitte gibt es computeranimierte Bild und Filmspiele in Werbeclipästhetik. Lichtfinger grabbeln auf der Bühne herum, grüne und blaue Laserstrahlen, -nebel und -felder illustrieren jeden Ton, da paßt alles genau ineinander, Musik und Bilder subtrahieren sich zum strahlenden Nichts. We're gonna take a short break. You can all go to the toilet. - Prophet David Gilmour spricht eines seiner raren Worte an die Gemeinde. Die ist's zufrieden und läßt brav weiter oben rein- und unten rauslaufen.
Nach der Erleichterung perfekte Dunkelheit, Feuerzeuge, Wunderkerzen, wogende Menschen in großer Zahl. Man kann nichts dagegen sagen, we don't need no education, alle singen das mit, hey, teacher, leave us kids alone, am lautesten die, die jetzt pädagogisch tätig sind. Vermute ich.
„Widerstandslos, im großen und ganzen,/ haben sie sich selber verschluckt, / die siebziger Jahre,/ ohne Gewähr für Nachgeborene,/ Türken und Arbeitslose.“, hat Hans Magnus Enzensberger 1980 gedichtet, Max Goldt sagte das später schöner: „Das Leben ist ein Jeansshop mit tausend Gesichtern...“ Es ist angenehm, zufällig über die Schulter zu sehen und mitzukriegen, was sich verändert hat. Bitter ist es für die, die außer den Erinnerungen nichts haben, weil Leben bei ihnen nicht mehr stattfindet. Andere haben damit keine Last mehr: Jeder kennt aus dieser Zeit ein paar Leute, die nicht mehr am Leben sind, die das Aussteiger- und Glück-hat-auf-Dauer-nur der-Süchtige-Gerede wörtlich genommen haben. Pink Floyd haben überlebt. Ich nehme an, das freut sie.
wiglaf droste
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