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■ Pfingstlied
Wir standen zu Pfingsten da Unter den Linden
na wo schon, im Osten, vorm Brandenburger Tor
der Westwind, der Tröster, lud von seinem Rücken
das Rockfest von drüben leis‘ in unser Ohr.
Das Tor war geschlossen wie an jedem andern
Ruhetag in dieser halbtoten Stadt
Wir fühlten uns wieder gehörig betrogen
und hatten die Mauer am Tore so satt.
Wir kamen nicht alle aus gleichen Gründen
nicht alle hier lockte der gleiche Ton
und was für den einen nach Popcorn schmeckte
das roch für den andern nach Rebellion.
Denn zwischen die Steine und unsere Ohren
marschierten mit Knüppeln aus Gummi und Stahl
grad in jener lauthalsen Hauptstadt des Friedens
die Friedensbehüter vom Staatspersonal.
Jetzt sollten wir folgsam nach Hause gehn
ins deutsch-demokratische Federbett
da knackte die Mauer in unseren Köpfen
da brüllten so viele: Die Mauer muß weg!
Ich konnte nicht schreien, ich konnte nur sehen
und sah, wie der Kelch sich zum Überlauf neigt
und weil wir uns nicht dressieren ließen
da haben die Herrn uns die Waffen gezeigt.
Ich sah hinter dreifacher Uniformkette
im Halbdunkel jene berechnende Larv‘
die peilte das Ziel und dann holten die Hunde
aus unserer Mitte die schreienden Schaf‘.
Dann sangen wir laut die „Internationale“
die sonst immer fremd aus den Kehlen uns kam
doch jetzt, als die Knüppel der Bullen dirigierten
da konnten den Sinn wir der Worte erahn‘.
Der wahrhaftig „internationale“
ist leider halt doch nur der Knüppelknauf
das hat er gelernt von den Machtverwaltern
im Westen und haut hier genausogut drauf.
Wir wußten das ja aus den Fernsehkanälen
und liefen nach Mitternacht dann davon.
Die Göttin des Friedens ganz hoch auf dem Tore
zuckt nur mit den Schultern - das kannte sie schon. Stephan Krawczyk (1987
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