So ziemlich alles

■ Ihre Filmographie liest sich wie ein französisches Kino-Lexikon, Kapitel Nouvelle Vague: Marina Vlady war Star bei Hossein, Delannoy, Vadim, Godard, Tavernier. Aber auch Ferreri und Orson Welles stehen auf ihrer Liste. Maria Knilli hat sie für ihren neuen Film über Emigranten engagiert. Bei Gelegenheit der Dreharbeiten in Berlin sprach Gerd Midding mit der Pariser Russin.

Gerd Midding

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Frage: Madame Vlady, manchmal liest man, Sie hätten mit zehn Jahren Ihren ersten Film gedreht und manchmal liest man, es sei mit zwölf Jahren gewesen. Was ist richtig?

Marina Vlady: Mit zehn Jahren! In diesem Sommer ist es genau vierzig Jahre her, seit ich zum ersten Mal vor der Kamera stand. Ich feiere mein vierzigstes Kinojubiläum, aber auf der Bühne stand ich schon viel früher: mit zweieinhalb Jahren! Meine Geschwister und ich, wir sind fast auf der Bühne geboren. In meinem Fall gilt das beinahe im wahrsten Sinne des Wortes: Meine Muter war mit mir schwanger, als sie bei der ersten Fernsehsendung in Frankreich zusammen mit ihrer Familie sang und tanzte. Diese erste Fernsehsendung, das war während einer Ausstellung im Jahre 1937, als das neue Medium dem französischen Publikum vorgestellt werden sollte. Ich wäre also beinahe vor den ersten Fernsehkameras auf die Welt gekommen!

Ich nehme an, für Sie gab es nie eine andere denkbare Karriere als die der Schauspielerin?

Ich glaube, als Kind bezog sich mein Ehrgeiz vor allem auf die Bühne, ich tanzte und sang. Mein Vater, ein bekannter Opernsänger, wollte, daß ich ins gleiche Metier wie er ging, denn damals hatte ich eine sehr gute Stimme. Er bereitete mich auch sehr genau darauf vor, eher er starb, als ich dreizehn war. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber schon sehr viele Filme gemacht, wenn ich auch noch kein Kinderstar war, so war ich aber doch schon bekannt. Ich bedaure manchmal, daß ich die Karriere einer Opernsängerin nicht ernsthafter verfolgt habe. Ab und zu singe ich noch in Filmen, aber mehr hat sich daraus nicht entwickelt.

Sehr oft gibt es für Kinderstars von einem gewissen Alter an keine Rollen mehr. Interessant an Ihrer Karriere ist jedoch, daß es eigentlich nie einen Bruch gab.

Das stimmt, ich habe immer gearbeitet, selbst später, als ich mit einem Russen verheiratet war und die Hälfte des Jahres in Moskau lebte, drehte ich etwa einen Film pro Jahr. Ich bin eine Schauspielerin, kein Kinderstar oder ein Sexsymbol - oder war beides nur für kurze Zeit. Als Schauspielerinnen finden wir immer eine Rolle, und wenn nicht im Kino, dann auf der Bühne oder im Fernsehen. Nur während der letzten zwei Jahre habe ich pausiert, um ein Buch zu schreiben.

Wovon handelt es?

Von meinem Eheman, Wladimir Wyssozki, und von unserem gemeinsamen Leben bis zu seinem Tod 1980. Das Buch ist in Frankreich inzwischen ein Bestseller geworden und ich bin dabei, es ins Russische zu übersetzten. Anfang Juni fahre ich nach Moskau, um letzte Verhandlungen deshalb zu führen.

In den Fünfziger Jahren haben Sie gut zwei Dutzend Filme gemacht. Was war damals Ihr größter Erfolg?

Ich glaube, das war „Die blonde Hexe“. Das war im Grunde überall mein größter Erfolg, in Rußland, in Amerika, in Frankreich, in Deutschland, wo er auch auf den Festspielen in Berlin ausgezeichnet wurde. Noch heute bekomme ich Briefe aus Deutschland von Leuten, die den Film damals über alles liebten. Können Sie sich das vorstellen? 25, nein, fast 35 Jahre später!

Ende der Fünfziger Jahre waren Sie eigentlich schon ein etablierter Star. Wie standen Sie in dieser Position zur nouvelle vague, die damals gerade aufkam?

Na, ich habe doch z.B. mit Godard gearbeitet. Wir haben zusammen einen seiner - wie ich finde - besten Filme gemacht, „Deux ou trois choses je sais d'elle“.

Nein, ich denke an die ersten Jahre der nouvelle vague. 1960 haben Sie z.B. einen Ihrer berühmtesten Filme gedreht: „La Princesse de Cleve“, zusammen mit einem Regisseur, den die Wortführer der nouvelle vague zu einem ihrer Erzfeinde erkoren hatten: Jean Delannoy.

Aber der Film ist ein echter Klassiker, ein Film, der bestehen bleibt, auch wenn Delannoy damals von den jungen Regisseuren gehaßt wurde. Ich glaube, er ist auch nicht so schlecht, wie sie damals behaupteten, er hatte einfach eine andere Arbeitsweise als die jungen Regisseure. Und er hat sehr viele schöne Filme gemacht.

Ich war sehr stolz, diese Rolle spielen zu dürfen, denn man wählte mich unter 300 Konkurrentinnen aus, obwohl ich viel älter als die Figur war: die Heldin des Romas ist 16, und ich war bereits 22 Jahre alt, meine ersten beiden Kinder waren schon geboren. Ich sage es ganz ohne falsche Bescheidenheit: Ich bin wirklich sehr stolz auf den Film, denn niemand kann an diesen berühmten Roman von Madame de Lafayette denken, ohne meine Interpretation der Titelrolle im Hinterkopf zu haben. Auch heute noch, bei hommages oder ähnlichen Veranstaltungen, bittet man mich, den Film vorzustellen. Und er alter einfach nicht, er ist heute noch genau so schön wie damals.

Ein Großteil des Erfolgs beruht - wie ich finde - auf dem Drehbuch von Jean Cocteau, der einen seiner Lieblingsromane für das Kino adaptierte.

Ja, das Buch von Cocteau war wunderbar, aber auch die Bilder von Henry Alekan! Er ist ein Genie, einer unserer größten Kameraleute. Ein sehr süßer Mann und ein sehr lieber Freund. Und stellen Sie sich vor, er arbeitet immer noch, mit fast 80 Jahren!

Einen Ihrer nächsten Filme drehten Sie mit einem Regiseur, der erst in den letzten Jahren bei uns bekannt wurde: Michel Deville.

Das war sein zweiter Film, „Adorable Menteuse“. Heute ist er einer der besten Regisseure, die wir in Frankreich haben, aber damals hatte er nur einen kleinen Film gedreht, der auch nur wenig Erfolg hatte. Deshalb war er froh, daß ich die Hauptrolle spielen wollte. Und ich war sehr froh, denn er war der Erste in Frankreich, der auf die Idee kam, mich in einer Komödie spielen zu lassen. In Italien hatte ich solche Rollen schon gespielt, aber in Frankreich sah man mich nur als die ernste Princesse de Cleve. Es war eine schöne Erfahrung.

Michel Deville hat einen sehr guten Ruf als Schauspieler -Regisseur, vor allem als Schauspielerinnen-Regisseur. Wie haben Sie mit ihm gearbeitet?

Wie wir gearbeitet haben? Das ist schwer zu erklären. Er stellt den Schauspieler einfach in eine Situation, in der dieser dann spielen muß. Er bittet den Schauspieler nicht um einen bestimmten Tonfall oder einen besonderen Akzent. Die Art, in der er Szenen und Dialoge schreibt, gibt einem Schauspieler aber viele Möglichkeiten, etwas zu erfinden. Diese Arbeitsweise liebe ich. Damit meine ich nicht vollständige Improvisation, das finde ich falsch, irreführend. Ich finde die Freiheit, in einer sehr präzise geschriebenen Szene zu improvisieren, sehr, sehr fruchtbar.

Ich finde, das Bemerkenswerteste an Ihrer Filmographie ist Ihre Vielseitigkeit.

Ich denke, ich aber so ziemlich alles gespielt, was eine Schauspielerin im Kino spielen kann. Das war immer meine große Chance und auch meine ganz bewußte Wahl: Ich wollte nicht immer nur die schöne, mysteriöse Frau mit Sex-Appeal spielen, das interessierte mich sehr schnell nicht mehr. Damals bekam ich das Angebot, die Marquise de Anges (Angelique) zu spielen. Manchmal denke ich, es war ein großer Fehler, die Rolle abzulehnen, denn wenn ich sie angenommen hätte, hätte ich wahrscheinlich danach nie wieder irgendwelche Geldsorgen gehabt (lacht). Ich sollte zunächst einen Vertrag über drei Filme abschließen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dreimal diese Idiotin zu spielen!

Sie hatten bereits meinen Ex-Mann Robert Hossein für die Serie unter Vertrag und dachten wohl, mich noch zu bekommen, sei ein echter coup. Die Serie war ein unglaublicher Erfolg, aber andererseits hat die Hauptdarstellerin danach auch nie wieder andere Rollen bekommen. Sie konnte dem Image nicht entfliehen. So etwas liegt mir nicht.

Der Film, für den Sie 1963 in Cannes den Darstellerpreis bekamen, „L'ape regina“ von Marco Ferreri, belegt Ihre Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit auf eindrucksvolle Weise: die Rolle entwickelt sich vom unschuldigen Mädchen zur dominierenden Ehefrau.

Ja, ein wunderbarer Film. Wie hieß er bei Ihnen in Deutschland?

„Die Bienenkönigin“, das ist die Übersetzung des italienischen Titels.

Das ist ein viel besserer Titel als der französische Verleihtitel: „Le lit conjugal“ („Das Ehebett“). Die Franzosen wollten offenbar besonders viel Geld mit dem Film verdienen, deswegen der Titel: „Das Ehebett“, da denken die Zuschauer „O la la, da bekomen wir schön etwas zu sehen!“ Tatsächlich bekommen sie gar nichts zu sehen! Es ist einfach ein wunderbarer, sehr moderner Film über den Katholizismus, über die Familie, über Heuchelei. Und vor allem die Stärke der Frau ist beeindruckend: sie frißt den Mann mit Haut und Haaren.

Ich war wirklich sehr stolz, als ich für den Film den Preis in Cannes bekam. Wenn Ihnen jemand erzählt, Preise und gute Kritiken bedeuteten ihm nichts, dann lügt er! Ich war sehr glücklich, denn schließlich bekommt jedes Jahr nur eine Schauspielerin den Preis.

Eben sprachen Sie über ein Image, dem man als Schauspielerin eventuell nicht entkommen kann, Glauben Sie nicht doch, daß die Zuschauer ein ganz bestimmtes Bild von Ihnen hatten und daß z.B. Godard, als er Sie für die Hauptrolle der frustrierten Hausfrau in „Deux ou trois choses ...“ besetzte, ganz bewußt mit diesem Image brechen wollte?

Nein, nein, das hatte ganz andere Gründe. Die Geschichte beginnt viel früher, Godard wollte mich bereits für seinen zweiten Film haben für „Une femme est une femme“ oder irgend einen anderen, ich weiß es nicht mehr genau. Damals war ich auf dem Höhepunkt meiner Popularität. Er kam ins Studio, in dem ich gerade drehte, und fragte mich, ob ich eine Hauptrolle für ihn spielen wollte. Ich wußte nicht, wer er war. Niemand wußte damals, wer er war. Erst später erfuhr ich, daß er „Außer Atem“ gemacht hatte. Er sagte also: „Ich möchte einen Film mit Ihnen machen.“ Ich sagte: „Gut, geben Sie mir das Drehbuch.“ „Ich habe kein Drehbuch.“ „Okay, dann erzählen Sie mir die Geschichte.“ „Die kann man nicht so einfach erzählen.“ „Na, wenn Sie einen Film mit mir machen wollen, dann müssen Sie mir die Geschichte aber schon erzählen!“ In dem Moment dachte er sich rasch eine Geschichte aus und ich sagte „ja“, da ich Lust hatte, mit jungen Leuten zu arbeiten.

In Wirklichkeit wollte er jedoch Anna Karina für die Hauptrolle und wollte die Produzenten nur mit meinem Namen ködern. Einige Jahre lang hörte ich nichts von ihm und dann bat er mich irgendwann einmal um Verzeihung und erklärte mir, daß er alles nur getan hatte, weil er Anna Karina liebte. „Gut“, sagte ich zu ihm, „das war nicht nett, aber wenn Du es aus Liebe getan hast, verzeihe ich Dir.“

Inzwischen war er geschieden und er fragte mich nun ernsthaft, ob ich mit ihm arbeiten wolle. Er plante, „Die Lilie im Tal“ von Balzac zu verfilmen, und wir sprachen einige Wochen lang darüber. Unterdessen hatte ich langwierige Dreharbeiten in Rumänien und flog ständig hin und her. Eines Tages, auf dem Weg zum Flughafen, kamen wir an diesem neuen Viertel, „La Couneuve“, vorbei und er erwähnte einen Zeitungsartikel, der sich mit Hausfrauen und Prostituierten in dieser Trabantenstadt beschäftigte. Daraus entwickelte sich dann „Deux ou trois choses ...“ und den Balzac haben wir sehr schnell vergessen.

War Godards Arbeitsweise für Sie eine große Überraschung oder gar ein Schock?

Na, die Dreharbeiten waren schon sehr merkwürdig. Wir Schauspieler trugen kleine Hörgeräte und Godard wollte uns über Mikrofon Regieanweisungen geben. Wir wußten überhaupt nicht, was für Dialoge wir in den Szenen sprechen wollten. Wir wußten gerade einmal, wie wir für die Kamera und die Beleuchtung stehen sollten - es war zwar ein nouvelle-vague -Film, aber Kamera und Scheinwerfer gab es doch (lacht)! Godard verlangte, daß wir die Dialoge wiederholten, die er uns durchgegeben hatte. Also standen wir mit großen Augen da und warteten auf den Text, der meist sehr kompliziert war. Diese Arbeitsweise jagte uns Schauspielern einen ziemlichen Schreck ein und wir fingen an, hysterisch zu werden. Ich fragte Godard: „Warum nimmst Du eigentlich Schauspieler, die Deinen Text wiederholen?“ „Weil ich nirgendwo bessere Roboter finde.“ Nun, das war nicht sehr nett, aber dennoch war der Film eine faszinierende Erfahrung. Als Schauspieler wurde ich zu einer Reaktion gezwungen und er verlangte oft am Ende eines Textes, daß ich in die Kamera sprach, was ich gerade dachte, über mich und die Rolle. Danach hat nie wieder jemand mit mir auf diese Weise gearbeitet und ich glaube, auch Godard hat so etwas nicht noch einmal gemacht. Ein seltsamer Film, aber das Resultat der Dreharbeiten ist wirklich phantastisch.

Wußten Sie, daß ich vor einigen Monaten einen Film mit seinem damaligen Assistenten, Lebelle, über die Dreharbeiten und die Trabantenstadt, über die Art, in der die Leute heute dort leben, gemacht habe?

Ja, er lief vor einiger Zeit bei uns im Fernsehen.

Wirklich? Das war ein interessanter, etwas bizzarer Film, eine Art offener Brief an Godard. Ich spiel nicht nur mich selbst - also die Schauspielerin aus dem Godard-Film, sondern ich spreche auch den Text der Stadt. Ich erinnere mich an eine sehr interessante Szene vor einem zersplitterten Fenster: ich spreche einen Monolog der Stadt, die man durch das Fenster sieht: „Können Sie sich vorstellen, daß in einem kleinen Haus ein Fahrstuhlknopf etwa zehnmal am Tag gedrückt wird? Aber in mir, in der Stadt, werden am Tage zehntausendmal Fahrstuhlknöpfe gedrückt!“ Eine sehr, sehr schöne Szene.

Orson Welles, in dessen „Falstaff„-Film Sie mitspielen, dominierte durch seine Präsenz als Schauspieler eigentlich jeden Film, an dem er mitwirkte. Wie war er als Regisseur und als Schauspieler?

Ein Traum! Die Dreharbeiten gehören zu den schönsten Momenten in meinem Leben als Schauspielerin und auch als Frau, denn er war ein wirklich göttlicher Mann. Er war verliebt in jeden seiner Schauspieler, ob Mann oder Frau, ob Kind oder Hund, ganz gleichgültig. Er liebte jeden und vermittelte Wärme, Stärke, Zärtlichkeit. Er war von ungeheuerer Großzügigkeit, nicht nur als Regisseur, als Künstler, sondern auch als der Leiter einer Filmcrew. Wir hatten kaum Geld - das gilt im Übrigen für alle Dreharbeiten, die ich je mit gemacht habe, das müssen Sie zu jedem Film schreiben, den ich gemacht habe! - und drehten oft 18 Stunden am Tag. Er massierte uns, wenn wir müde wurden, nicht nur uns Schauspieler, auch die Techniker und andere. Wenn Sie sich an den Film erinnern, da habe ich eine Nacktszene, mit einem Dekollete, das herunterreicht bis ... naja. Es war kalt, wir drehten in einem mittelalterlichen Kastell, in dem es keine Heizung oder ähnliches gab. Er brachte mir heißen Kaffee mit Cognac - ich war fast betrunken, als wir anfingen, zu drehen - und bemühte sich ständig um mich. Über ihn als Küsntler will ich gar nicht erst sprechen, Sie wissen selbst, daß niemand mehr solche Filme macht wie er! Ich hatte nur eine kleine Rolle im „Falstaff“, aber in einer meiner Szenen hatte ich einen sehr langen Monolog, den ich mit meinen Gesten und Bewegungen nicht koordinieren konnte. Eine sehr schwierige Szene: ich will meinen Mann nicht verlieren, ich ziehe ihn aus und versuche, ihn zu verführen. Orson spielte mir diese Szene vor, den ganzen komplizierten Monolog. Sie müssen sich vorstellen, daß er in seinem kugelrunden Falstaff-Küstum steckte. Aber in dem Augenblick war er nicht mehr der feiste, bärtige Falstaff, sondern eine junge Frau, die in ihren Mann verliebt ist und ihn verführen will. Er war ein absolutes Genie.

Nachdem Sie 1970 Wladimir Wyssozki heirateten, gab es da keinen Bruch in Ihrer Karriere, vor allem, wenn man sich vorstellt, daß Sie einen Großteil der Zeit in Moskau verbrachten?

Nein, überhaupt nicht. Ich drehte etwa einen Film pro Jahr, auch einen Film in Rußland, über das Leben Tschechows. Ich habe aber wenig Lust, über diese Zeit zu sprechen, denn zwei Jahre lang habe ich an einem Buch darüber gearbeitet. Kaufen Sie sich das Buch und lesen sie es.

Immerhin haben Sie in der Zeit einige Ihrer interessantesten Filme gemacht. Zum Beispiel „Que la fete commence“ von Bertrand Tavenier. Hat Sie dieses Rollenangebot überrascht?

Nein, überhaupt nicht. Sicher, niemand sonst wäre auf die Idee gekommen, mir eine solche Rolle zu geben, aber Tavenier und ich kannten uns schon lange, seit seiner Zeit als Pressebetreuer (Presseattache). Wir machten zusammen einen wunderbaren Film über die Probleme von Arbeitern, das war „Le Temps de vivre“, bei dem Bernard Paul Regie führte. Den Film haben wir in einer Art Kooperative gemacht, das war 1968, da waren wir alle sehr engagiert. Wir reisten mit dem Film durch ganz Frankreich, führten Diskussionen, Pressekonferenzen etc. Bertrand Tavenier war während der ganzen Zeit bei uns und er wußte, wie ich lebe. Als er dann die Rolle der Madame Parabe schrieb, dachte er an mich, denn er wußte, daß ich das Leben liebe, daß ich gern esse und trinke usw. Für mich war das also keine Überraschung, wohl aber für das Publikum. Das war sehr schockiert, denn meine Dialoge sind sehr derb und ordinär (lacht). Nun, ich muß zugeben, daß wir einige Einstellungen wiederholen mußten, weil ich schamrot geworden war. Aber es ist ein brillanter, lebendiger Film, vollblütig, nicht so langweilig wie die meisten historischen Filme.

1977 drehten Sie mit Marta Meszaros den Film „Ök Ketten“, der in Deutschland „Zwei Frauen“ hieß. War sie die erste Regisseurin, mit der Sie gearbeitet haben?

Ich glaube, ja. Das ist sicher einer meiner schönsten Filme, es ist auch der einzige, in dem ich zusammen mit meinem Ehemann Wladimir Wyssozki gespielt habe. Wir haben eine kurze Szene zusammen, eine Liebesszene, vielleicht eineinhalb Minuten lang, aber wunderschön. Ich meine auch heute noch, daß es Martas bester Film ist. Leider haben wir uns danach aus den Augen verloren und nie wieder zusammen gearbeitet.

Sie haben etwa 80 Filme gemacht, gibt es darunter noch bestimmte, die Sie sehr mögen, über die wir aber noch gar nicht gesprochen haben?

Na, wir haben ja kaum über meine frühen Filme gesprochen, zum Beispiel „Gioni d'amore“ von Giusseppe de Santis, mit Marcello Mastroianni. Eine nette, zärtliche Komödie, der erste europäische Farbfilm, glaube ich. Oder ein wunderbarer Film von Henri Colpi, den ich Mitte der sechziger Jahre gedreht habe: „Mona“. Er ist zehn Jahre zu früh entstanden, im Grund ist er kompletter Kitsch, das hat damals niemand verstanden, er lief nur zwei Wochen in einem kleinen Kino. Ich bekam keine Gage, sollte aber an dem Einspielergebnis beteiligt werden. Aber in Frankreich wollte sich niemand um den Verleih und die Pressebetreuung kümmern und deshalb wurde er ein vollständiger Flop. Ich hätte mich umbringen können! Aber trotzdem glaube ich, daß es einer meiner besten Filme ist.

Und was für eine Rolle spielen Sie nun in „Follow Me“ von Maria Knilli?

Ich spiel eine Bordellchefin und eine gute Freundin, vielleicht die Geliebte, der Hauptfigur, die Pavel Landovsky verkörpert. Wir haben drei, vier Szenen zusammen.

Ich habe den Eindruck, die Handlung des Films läßt sich nur sehr schwer resümieren?

Das Drehbuch ist eines der besten, das ich seit Jahren gelesen habe, aber man kann es erst verstehen, wenn man es ganz gelesen hat. Es steckt voller Poesie, einer Poesie der Bilder, einer Poesie der menschlichen Beziehungen. Es ist ganz und gar kein realistischer Film, er spielt in irgendeiner Großstadt im Westen, es wird offen gelassen, ob es Berlin, Wien oder Paris ist. Pavel spielt einen Mann, der aus der Tschechoslowakei geflüchtet ist, nun aber zurückkehren will. Das ist vielleicht der Kern der Geschichte.

Kannten Sie die frühen Filme von Maria Knilli, etwa „Lieber Karl“?

Nein, nur einen Ihrer Kurzfilme. Aber wir lernten uns bei den Dreharbeiten zu einem Film von Vojtech Jasny kennen, der Verfilmung einer Komödie von Nikolai Erdmann, mit dem mein Ehemann befreundet war. Das Stück steckt voll typisch russischem Humor, besser: voll sowjetischem Humor. Mein Mann hätte es gern gespielt, aber niemand in der Sowjetunion ließ das zu. Es heißt: „Der Selbstmörder“ (Anm.: der Jasny-Film lief im Fernsehen unter dem Titel: „Bis dann - ich muß mich erschießen!“). Maria war die Erste Regieassistentin, ein phantastisches Mädchen, sehr stark, sehr professionell. Ich war sehr glücklich, als sie mich anrief und mir erzählte, daß sie eine Rolle für mich geschrieben habe.

Und was werden Sie im Anschluß an „Follow Me“ drehen?

Da werde ich mir zu meinem vierzigsten Kinojubiläum ein Geschenk machen: Ich drehe einen Film mit Ettore Scola und Marcello Mastroianni, es ist inzwischen mein dritter Film mit Marcello. Er wird „Splendor“ heißen und es geht um die Besitzer eines alten Kinos, das um seine Existenz kämpfen muß. Wie in „La Famiglia“ gibt es auch in diesem Film verschiedene Zeitebenen, er fängt damit an, daß ich vor 25 Jahren in die Stadt komme und den schönen Marcello kennenlerne und es geht weiter bis in die Gegenwart.

Das gegenwärtige französische Kino wird von männlichen Stars dominiert ...

Aber das war schon immer so! Ich denke, die beiden einzigen Stars, die von sich behaupten konnten, daß sie so berühmt wie die männlichen Stars waren, waren Simone Signoret und Romy Schneider. Nicht einmal die Deneuve macht wirklich erfolgreiche Filme ohne männliche Co-Stars, es muß jemand wie Depardieu mitspielen, damit der Film Geld einspielt. Die Männer bekommen die größeren Rollen, sie bekommen die höheren Gagen und nur ihr Name wird vor dem Titel des Films im Vorspann genannt. Es gibt kaum jemand, der in Frankreich große und bedeutende Rollen für Frauen schreibt.

Im Fernsehen ist das etwas anderes, einer meiner größten Erfolge war die Serie „Chambre des Dames“, „Das Frauengemach“. Aber selbst da sind gute Rollen im Moment rar, die Produzenten scheinen abzuwarten, wie sich das System europäischer Co-Produktionen in Zukunft entwickelt.

Aber ich habe eigentlich keinen Grund, mich zu beschweren: Ich arbeite ja immer! Sicher, wie alle Schauspieler habe ich Phasen, in denen ich zu Hause sitze und denke: „Es passiert ja rein gar nichts“. Aber ich renne auch nicht um jeden Preis hinter irgendwelchen Rollen her, ich warte lieber, bis mir einmal eine Rolle wie die in Maries Film oder in dem Scolas angeboten wird.

So wichtig ist mir das Schauspielen auch gar nicht. In meinem Leben gibt es genug Dinge: meine Familie, meine Kinder, mein Haus. Ich bin schon glücklich, wenn ich für Freunde kochen kann. Ich liebe das Leben, das man als Schauspielerin führt, aber meine Arbeit ist nicht das wichtigste für mich.