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Rafsanjanis unaufhaltsamer Aufstieg

Der iranische Parlamentspräsident ist nun auch Oberkommandierender des Militärs / Seine Hinhaltetaktik besteht darin, eine Entscheidung über Krieg und Frieden zu verschieben, Ausgleich mit dem Westen zu suchen, Khomeini-Nachfolger Montazeri zu demontieren und - auf den Tod des Revolutionsführers zu warten  ■  Von Walter Gebhard

Mit einem Geniestreich wollte Hojatoleslam Ali Akbar Hashemi Rafsanjani sein neues Amt antreten. 24 Stunden nachdem Khomeini ihn zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt hatte, flog ein F4-Bomber einen Angriff auf das Landhaus des irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Die Bomben verfehlten das Ziel, jedoch nicht ihre symbolische Wirkung. Rafsanjani demonstrierte, worum es der Islamischen Republik Iran nach wie vor geht: die Bestrafung Husseins. Der Angriff auf die Villa des Erzfeindes war noch nicht einmal bekannt, als Rafsanjani seine Zuhörer beim Freitagsgebet anstachelte: „Wir sind entschlossen, unsere Rechte gegenüber der irakischen Baath- Partei um jeden Preis durchzusetzen. Es gibt nichts und niemanden in der Welt, der uns stoppen kann. Worte, die Khomeini gefallen, die von Rafsanjani jedoch nur bedingt ernst gemeint sind.

So verloren die Sprüche der ersten Amtsstunden auch schnell an Aggressivität. Rafsanjani, zugleich Parlamentspräsident, ist kein Heißsporn, sondern ein kühler Rechner. Khomeini ernannte ihn zum amtierenden Oberbefehlshaber, um endlich nicht mehr selbst für die Niederlagen im Landkrieg gegen Irak verantwortlich zu sein. Rafsanjani nahm an, aber nicht, um die letzten Reserven gegen Irak zu mobilisieren. Der Mullah, über dessen spärlichen Bartwuchs die Iraner Witze machen, ist ein Pragmatiker mit einem ähnlichen Machtinstinkt wie Khomeini, aber ohne dessen Risikobereitschaft. Einen totalen Krieg zu führen, schließt auch die Möglichkeit einer Niederlage und des persönlichen Machtverlusts ein. Also wird Rafsanjani diesen Weg nicht wählen. Begrenzte Gefechte mit viel Propaganda, lautet das neue Konzept, das bereits beim iranischen Angriff in der Nähe Basrahs am 13. Juni angewandt wurde. Mit großen Erfolgsmeldungen wird die eigene Schlappe als Sieg gefeiert. Rafsanjani erklärte zu dem zwanzigstündigen Gefecht in der Wüste, in dem Iran sich nach Anfangserfolgen unter schweren Verlusten zurückziehen mußte: „Es hat den Anschein, als ob der disziplinierte Rückzug unserer Truppen sehr bemerkenswert war.“

Der Mullah macht sich daran, die Revolutionswächter bei ihren Selbstmordangriffen zu stoppen: Der Krieg soll „rational“ geführt werden. Das ist ein neuer Stil. Hinter diesem Anliegen verbergen sich verschiedene Motive.

Vor allem weiß der 54jährige, daß ein Frieden zu Lebzeiten Khomeinis an dessen Widerstand scheitern wird. Also muß er mit einer Langzeittaktik den Krieg in die Länge ziehen, da das Land derzeit einen totalen Krieg weder gewinnen noch politisch durchstehen kann. Die nach wie vor bestehende internationale Isolation der Islamischen Republik ist ein großes Risiko. Rafsanjani ist derMann, der hinter dem spürbaren Bemühen um Ausgleich mit den westlichen Industriestaaten steht. In der vergangenen Woche wurden wieder Beziehungen mit Frankreich aufgenommen, und am Montag trafen britische Parlamentarier auf Einladung Rafsanjanis in Teheran ein, wie Labour-Mitglied Tom Clarke betonte. Hinter aller feindlicher Rhetorik werden deutliche Annäherungsversuche an die USA erkennbar. Ministerpräsident Mir Hossein Mousavi nannte am Dienstag vergangener Woche US -Zahlungen an Iran eine Bedingung für die Annäherung an die früher meist nur „großer Satan“ genannte Supermacht.

Rafsanjani weiß auch, daß das Land einen totalen Krieg im Augenblick weder finanziell noch wirtschaftlich verkraften kann. Der laufende Haushalt hat ein Defizit von umgerechnet 25 Milliarden Mark. Während die jährlichen Öleinnahmen derzeit 17 Milliarden Mark betragen, werden für mindestens 20 Milliarden Waren importiert. Der totale Krieg könnte den Bankrott bringen.

Diese Gründe sprechen dafür, daß Rafsanjani seine Rolle nicht darin sieht, eine Wende zugunsten Irans im acht Jahre alten Golfkrieg zu bringen, sondern er das Oberkommando nutzen wird, um die Kontrolle über die verschiedenen Machtorgane zu erringen. Stirbt Khomeini, kann er die zu erwartenden Diadochenkämpfe im Keim ersticken.

Der Hojatoleslam geht behutsam vor. Die Revolutionswächter will er nicht vor den Kopf stoßen. Sein Taktieren entspricht dem Khomeinis. Er will die verschiedenen Zentren kontrollieren, jedoch keineswegs abschaffen, da er sie gegeneinander ausspielen und auf diesem Wege als Quelle seiner Macht nutzen kann. Schon heute kann gegen den Willen Rafsanjanis keine Entscheidung mehr getroffen werden.

Khomeini-Nachfolger Montazeri hat dies beizeiten erkannt. Erst wollte er Rafsanjani vom Stuhle des Parlamentspräsidenten wegloben, dann forderte er die Vereinheitlichung der Streitkräfte unter einem gemeinsamen Oberbefehl. In beiden Fällen scheiterte er kläglich. 24 Stunden, nachdem er angeregt hatte, Rafsanjani solle sich ausschließlich auf seine neue Aufgabe als Oberkommandierender konzentrieren, wurde dieser erneut zum Parlamentspräsidenten gewählt. Und als Montazeri die Verschmelzung von Armee und Revolutionswächtern forderte, nannte Staatspräsident Khomenei diesen Vorschlag bereits Stunden später „giftige Propaganda“.

Noch ist Rafsanjanis Macht nicht unumschränkt. In Khomeini findet er seinen Meister. Weil der es so will, wird Rafsanjani nicht für den Frieden sein. Damit bietet sich dem skrupellosen Politiker jedoch auch die Chance, Khomeini später für die Probleme des Krieges verantwortlich machen zu können. Rafsanjani war in den vergangenen Tagen sehr bedacht darauf, den Kriegsbefürwortern nicht das gesamte Feld zu überlassen. Zwar konnte Innenminister Motashemi Regierungsmitglieder wegen deren Gesprächen mit der UN über einen Frieden beschimpfen. Der neue Oberbefehlshaber brachte dann jedoch sofort die Korrektur an: „Wir haben die Möglichkeit einer nichtmilitärischen Lösung offen gehalten.“

Diese Aussage widerspricht in keiner Weise der Praxis, daß derzeit im Inneren auf Friedensfreunde aus dem nationalreligiösen Lager erneut Jagd gemacht wird. Mitglieder der „Freiheitsbewegung Iran“ des Mehdi Bazargan werden derzeit gezielt verfolgt. Mehrere Mitglieder der ersten Regierung der Islamischen Republik wurden festgenommen, als ein offener Brief Bazargans an Khomeini auftauchte, in dem der alte Mann des Bürgertums ein Kriegsende forderte. Rafsanjani möchte die Debatte über ein Kriegsende nicht öffentlich führen. Bei der Verfolgung der Mitglieder der Bazargan-Gruppe geht es jedoch um mehr. Die „Freiheitsbewegung Iran“ soll jetzt geschwächt werden, damit sie im Falle des Todes von Khomeini nicht zu große Teile des politischen Vakuums für sich beanspruchen kann.

Mit gezielten Gerüchten über den Tod Khomeinis wurde der Ernstfall geprobt. Dabei fiel der Exilopposition wieder einmal die Rolle zu, die Nachricht vom Ableben des krebskranken, aber noch lebensfähigen Ayatollahs zu verbreiten. Anders als früher winkte der Alte erst am vierten Tage nach seinem angeblichen Exitus in der Jamaran -Moschee seinen Anhängern mumienhaft zu.

Die starke Stellung Rafsanjanis ist eine Absicherung dafür, daß die Islamische Republik nach dem Tod Khomeinis lebensfähig bleibt. Der Parlamentspräsident dürfte dann seine Macht zur Ausschaltung der Kriegsbefürworter nutzen. Deren Machtverfall begann auf dem Schlachtfeld mit der Niederlage bei Fao, und deren Machtverlust dürfte mit dem Tode Khomeinis besiegelt sein.

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