: Altenfeindlich -betr.: Alte Liebe rostet nicht", taz vom 22.6.88, S.4, Berichtigung, taz vom 7.6.88, Augenblicke, taz vom 11.6.88
betr.: „Alte Liebe rostet nicht“, taz vom 22.6.88, S. 4, Berichtigung, taz vom 7.6., Augen-Blicke, taz vom 11.6.88
Wer glaubt, daß breitere Nasenflügel und dunklere Hautfarbe auch niedrigere Intelligenz und Sittlichkeit bedeuten, ist ein Rassist. Wer annimmt, daß die biologischen Prozesse des Alterns mit dem Verfall von Denkvermögen und Moralität identisch sind, ist auch eine Art Rassist. Sicher treten bei älteren Menschen die Wunden an Physis, Seele und Geist, die ihnen von unverändert menschenfeindlichen Gesellschaften geschlagen werden, gehäufter auf als bei jüngeren; sicher haben sich viele Senioren selbst reduziert und zu einem schuldhaften Arrangement mit dem schlechten Bestehenden hergegeben; das erlaubt es uns aber nicht, das nur biologisch-geriatrisch zu deuten und sarkastisch abzutun. Leider gibt es manche Anzeichen dafür, daß bei der taz altenfeindliches Denken recht verbreitet ist. (...)
K.P.Klingelschmitt (22.6.) traut der DKP keine weltrevolutionäre Potenz zu und nennt die, die ihr das unterstellen, die „gealterten Herren vom Verfassungsschutz“. Entspringen absurde Ansichten stets „gealterten“ Hirnen? Sind real existierende Absurditäten wie der Antikommunismus tatsächlich schon so überwunden, daß sie nur noch im Denken betagter Mode-Muffel aufzuspüren sind?
„Die massiv voranpreschende Senilisierung Herrn Gollwitzers“ (7.6.). Beinah aus dem Wörterbuch des Unmenschen: senil - senilisieren - Senilisierung. Eine Gollwitzer unterstellte Eigenschaft wird zum Subjekt des Handelns, während das eigentlich menschliche Subjekt zum Objekt dieses automatischen Prozesses erniedrigt wird. Jetzt nur noch eine Armbinde mit großen S, und wir wissen vor dem Weghören: „Aus dem/der spricht die Senilität!“
Die Augen-Blicke vom 11.6. zeigen einen alten working-class intellectual der Socialist Party of Great Britain als Redner am Speakers‘ Corner. Hinter ihm stehen verständnislose Kinder und amüsiert grinsende Erwachsene und verwandeln ihn so in ein überlebtes Fossil, einen absurden alten Narren. Wir können darüber traurig sein, daß Speakers‘ Corner zum bloßen Dampfablaßventil, zum Tummelplatz der Folgenlosigkeiten verkommen ist (welche Art von Speakers‘ Corner ist übrigens die Leserbriefecke in der taz?). Wir können den Verfall britischer Arbeiterpolitik bedauern. Zynisch aber ist, wenn all das ohne Empathie dargestellt und als bloße Chiffre für die „Absurdität des Alterns“ geboten wird.
Haben die vorwiegend jüngeren taz-JournalistInnen, deren linke Kundschaft ihnen ermöglicht, in einer hoffentlich herrschaftsfreien Nische des Systems zu leben, ein Recht, auf Kraft und Unversehrtheit stolz zu sein? Ist ihnen bewußt, wie sehr viel verwundeter und kaputter zum Beispiel ihre apartheidgeschlagenen AltersgenossInnen in Mzimhlope und Guguletu sind, wie ihre eigene Leistungsfähigkeit auch ein Privileg und Geschenk der günstigeren Bedingungen ist? Meinen sie, daß man gleichzeitig frauenfreundlich und altenfeindlich sein kann?
H. Junge. Hamburg
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