: L O K A L T E R M I N
Mit einem lustvollen Plop befreite sich der Sektkorken von diesem unerträglichen Druck, geriet aber vom Regen in die Traufe, knallte mit dem Kopf gegen die Wand und landete im Aschenbecher. Mein Mitleid währte nicht lange. Ich füllte dem Freund und mir die Gläser und wir lehnten uns in das rote Ledersofa zurück und prosteten uns zu. Von diesem mit Thonet-Stühlen vollgestellten Podest hatte man einen guten Überblick auf die verwinkelte Bar. Sie vermittelte durch ihre bunte Geometrie, ihrem kühlen Interieur ein angenehm aufregendes Gefühl. Überall schöne Ecken und Kanten. Palmen aus Blech, scheinbar vergoldet. Blaues Licht. Spraylackgraffity an kahlen Wänden. Hinten, bei den Toiletten, ungefähr auf der selben Höhe unserer Sitz-Bühne spielten zwei Bärtige Carambolage. Ansonsten war die Bar, von der weiblichen Bedienung abgesehen, leer. Der Freund und ich hatten uns durch Zufall hier getroffen und sofort gemerkt, daß es für beide etwas zu fei ern gab. Für mich, weil meine Hamsterködel immer noch in Sicherheit waren, und man mir solange auch nicht wirklich etwas antuen konnte, und bei ihm beruhte das Glücksgefühl auf einer mehr oder minder privaten Erfahrung.
Ich erzählte ihm natürlich nichts von dem scheußlichen Vorfall, sondern brabbelte etwas von einem Balkon, der sich neben mir auf die Straße gesetzt und mir die Fußnägel geschnitten hatte. Seine Geschichte war aber noch verrückter.
„Das mußt du dir mal reintun. Ich, ausgerechnet ich als Linksradieschen und taz-Frontberichterstatter verliebe mich tödlich aber unsterblich in die Klatschtante von der BZ!“
„Wo? In der Watt- oder in der Kochstraße?“
„Auf der Günstlergala zu Gunsten des hungernden E88 Spektakels“.
„Wie?“
„Wir standen im Foyer. Sie sagte, scheiße hier. Ich sagte scheiße hier. Wir sahen uns an und gingen gemeinsam zum Bierstand. Dabei ist es passiert und es lief alles normal, bis sie mir sagte, wie sie ihr Geld verdient. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich gelitten habe. Ich berief das WG -Plenum, meetete den AL-Ausschuß zur Lösung unvereinbarer Konfliktsituationen, rief meine Mutter an, konsultierte den Vertrauensarzt und mehrere Wirte. Ihr ging es ähnlich.“
„Und weiter?“
„Wir haben einen Kompromiß gefunden, arbeiten jetzt beide in der Moderedaktion des Tagespiegels und sind endlich glücklich“.
Ich lachte mein Glas leer.
Aus den gegenüberliegenden Kinos strömten jetzt die Besucher und verteilten sich im Vorgarten oder in der Bar. Kinobesucher verbreiteten eine angenehme Atmosphäre. Sie sind mit sich und ihren Kleingruppen beschäftigt, mischen sich nicht in andere Gespräche ein und fangen schon gar nicht an, Leute aus fremden Geschlechtern anzumachen. Der Geräuschpegel war hoch, die leichte Musik kam nur schwer gegen verbale Reaktion, Analyse, Austausch und Rückblende an.
Der Freund und ich ließen uns noch auf eine Carambolage am grünen Tisch ein, dann gähnte ich mich nach Hause.Thomas Böhm
Splendit,
Hornstr.23;
1000Berlin61
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