: „Sie haben das Ansehen der Firma geschädigt“
Im Istanbuler Partnerunternehmen der westdeutschen Firma „Pharma Hameln“ werden erste Ansätze zu gewerkschaftlicher Organisation mit Kündigungen und Aussperrung beantwortet / Ampullen-Produktion - für Frauenarbeit „prädestiniert“ / Seit dem 10. Juni im Streik ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Eine deprimierende Landschaft. Dreck, Schlamm, rauchende Fabrikschornsteine, stinkende Auspuffe vorbeidonnernder Lastkraftwagen. Überall Männer, die zum Schichtwechsel aus den Fabriktoren strömen: Kartal, eine industrielle Einöde am Rande Istanbuls.
Am Tor des kleinen Pharma-Betriebs Mefar ändert sich plötzlich das Bild. Man glaubt fast im Hofe eines Mädchengymnasiums zu stehen: Dutzende junger Frauen, adrett gekleidet - ausgesperrte ArbeiterInnen des Pharma -Unternehmens.
Mit Tricks, Kündigungen und Aussperrung versucht Mefar, eine Beteiligung der westdeutschen Pharma Hameln, den zaghaften Ansätzen der Frauen, zur Gewerkschaftsarbeit den Garaus zu machen. Erstmalig in der Geschichte des Betriebes organisierte sich die überwältigende Mehrheit der Arbeiterinnen gewerkschaftlich und trat der unabhängigen Gewerkschaft Laspetkim-Is bei. Kommissare des Arbeitsministeriums bescheinigten der Gewerkschaft nach geltenden Gewerkschaftsgesetzen das Recht, Tarifverträge abzuschließen.
Die Reaktion des Unternehmens kam schnell:Der Unternehmer kündigte zwölf Arbeiterinnen fristlos. Auf Bestreben des Direktors Horst Meier wurden weitere 20 Arbeiterinnen unter Druck gesetzt, ein Formblatt zu unterschreiben. Formell sollten sie nunmehr beim Partner-Unternehmen Birgi beschäftigt sein, ihre alte Tätigkeit bei Mefar aber beibehalten. - bei Birgi haben Bosse der „gelben“ Türk-Is Gewerkschaft Kristol das Sagen.
Seit dem 10.Juni schon sind die Frauen unter der steten Kontrolle von Polizei im Ausstand. Auch als ich eintreffe, beäugen Polizisten grimmig die versammelte Menge. „Sie haben uns mehrmals bedroht. 'Merkt euch diese Rädelsführer. Wir werden diese Frauen als erste mitnehmen‘, hat der Kommissar den Polizisten zugerufen“, erzählt eine der Frauen. Sie zeigt mir ihr Kündigungsschreiben, das heute ins Haus flatterte. „Sie haben den Vorwand geliefert, daß Polizei vor das Fabriktor kam und das Ansehen unserer Firma geschädigt wurde.“
Das Ansehen des westdeutschen Pharma-Partners hat es wirklich in sich. Zwei-Tage-Schicht im Akkord, Herstellung von Penicillin-Ampullen, eine Produktion, die für Frauenarbeit „prädestiniert“ ist. In der Optik-Abteilung suchen am Fließband 16jährige zwölf Stunden lang mit der Lupe nach Glassplittern bei den Ampullen. In der Waschabteilung beträgt die Raumtemperatur 40 Grad. Die jungen Frauen klagen über Augen- und Kopfschmerzen. Meine Frage, ob im Betrieb regelmäßig Augenkontrollen durchgeführt werden, erntet müdes Lächeln. „So etwas gibt es bei uns nicht.“
Der Lohn der Arbeit: 50.000 Türkische Lira, umgerechnet 74 Mark im Monat. „Gibt es denn eine Gewerkschaft in Deutschland, an die wir uns wenden können?“ fragte mich eine der Frauen. „Pharma Hameln - das währe wohl die IG Chemie.
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