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Die US-Flotte: Tollwütiger Wachhund im Golf

Die USA benehmen sich im Golf wie der berittene Cowboy, der in einer New Yorker U-Bahnstation zur rush hour einen Taschendieb verfolgen will. Wenige Seegebiete auf der Erde haben eine ähnlich hohe Verkehrsdichte aufzuweisen wie gerade die Straße von Hormus. Sie ist Ölschlagader und zugleich Tummelplatz einer Vielzahl von Kriegsschiffen aus zwei Dutzend Staaten.

Die Entscheidung der US-Führung, sich militärisch direkt in den endlosen Krieg zwischen Iran und Irak einzumischen, liegt gerade ein Jahr zurück. Im Juli 1987 weiteten die iranischen Marine-Einheiten ihre Angriffe auf zivile Transportschiffe aus und attackierten erstmals einen unter US-Flagge fahrenden Supertanker. Hintergrund war die deutliche Zunahme US-amerikanischer Hilfeleistungen an den Irak, ein wachsender Druck Washingtons auf die arabischen Golf-Anrainer, sich im Golfkrieg eindeutiger zu engagieren, aber auch der schärfer werdende Machtkampf der Teheraner Führung. Der „Tankerkrieg“ wurde internationalisiert.

Die US-Marine verstärkte massiv ihre Präsenz vor und hinter der Straße von Hormus und zog gleichzeitig die NATO -Verbündeten mit in ihre selbstzugewiesene Wachhund-Funktion hinein. Im September '87 kam es zur ersten bewaffneten Konfrontation zwischen iranischen Minenbooten und dem US -Konvoi. Seitdem steigerte sich das amerikanische Engagement im Zwei-Monatsrhythmus von Zwischenfällen, in denen zumeist die Iraner die Verlierer blieben. Nach dem irrtümlichen Angriff eines irakischen Bombers auf die US-Fregatte „Stark“ am 17.Mai 1987, der 37 amerikanische Seeleute das Leben kostete, weil der Kommandant des Schiffes bis zum Einschlag der Rakete nicht an einen Angriff glauben wollte, hatte das Pentagon eine flexible Politik von sogenannten „Einsatz -Regeln“ eingeführt. In diesem Katalog möglicher Gefechtsanlässe für die US-Einheiten war bis vor knapp fünf Wochen die Verantwortung für jeden Einsatz in der Golfregion an den Generalstab in Washington gebunden. Als aber eine iranische Mine die US-Fregatte Samuel B. Roberts am 14.April weitgehend zerstörte, ließ US-Verteidigungsminister Carlucci zwei iranische Ölplattformen zerstören und autorisierte Ende April die Kommandanten der Marine-Einheiten, selbständig über den Einsatz von Waffen gegen iranische Ziele zu entscheiden. Seitdem stürmen amerikanische Schiffe, vom Minensuchboot bis zum Flugzeugträger, durch die Gewässer. Wie einst Wyatt Earp in den Saloons des Westens die Übeltäter jagte, verfolgen jetzt die US-Kapitäne mit dem Finger am Abzug die kleinen, vier Meter langen iranischen Schnellboote, die, wie am letzten Samstag, ihre Angriffe auf US-Schiffe, die nicht unter US-Flagge fahren, fortsetzen. „Wir jagen diesen Dingern nach, wie wir können“, erklärte gestern ein US-amerikanischer Offizier. Von überall her müßten die US-Schiffe Angriffe erwarten, das zeige die Erfahrung der letzten Monate. Die Identifikation der Gegner sei aber angesichts der Enge des Raumes und der Vielzahl der Bewegungen auf dem Wasser und in der Luft äußerst schwierig. Dazu trägt die US-Marine selbst noch bei, wenn sie, wie im Frühjahr dieses Jahres, einige Tanker mietet und zu Kriegsschiffen ausbaut. Dabei kam es mehrmals zu Angriffen auf die eigenen Einheiten. Ein US-Helicopter konnte im Frühjahr nur knapp dem Abschuß durch einen US-Zerstörer entgehen.

In den strategischen Entwürfen der US-Politik im Golf soll die militärische Präsenz das wesentliche Druckmittel sein, den Iran zur Einstellung der Angriffe auf die Schiffahrt und überhaupt zum Waffenstillstand zu bewegen. Parallel zur Massierung ihrer militärischen Stärke im Golf hat die Regierung in Washington immer wieder versucht, einen Dialog mit dem als moderat eingeschätzten Flügel des Regimes in Teheran zu beginnen. Erst kürzlich noch soll sich der US -Botschafter bei den Vereinten Nationen, Vernon Walters, mit iranischen Delegierten getroffen haben. Der Abschuß des Airbus ist der Höhepunkt einer schizophrenen Politik: Politische Initiativen werden immer wieder militärisch konterkariert.

Thomas Reuter

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