: „Sonst war das ganz gemütlich“
■ Rund um den Winterfeldtplatz: Ein Kioskbesitzer erzählt aus der Platzgeschichte der letzten Jahre
„Das war ein komisches Gefühl, als die Jalousien unter waren und die Steine dran flogen“, beschreibt Peter Blank seine Feuertaufe als frischgebackener Kioskbesitzer am Winterfeldtplatz. 1982, das Jahr der ersten Reagan-Demo, beherrschten Straßenkämpfe und Hausbesetzungen den Szenemarkt und seine Umgebung. Selbst die Fensterscheiben kleiner Geschäfte blieben nicht verschont. Dennoch hat er keine Probleme mit den Demonstranten gehabt. „Die kamen sogar hier rein und haben ihre Tücher mit Zitronensaft getränkt.“ Er habe sie eben toleriert. „Sonst war das ganz gemütlich, so 'ne richtige Gemeinschaft.“
Gemütlich ist es auch im Innern des Kiosks, einem winzigen Kabuff, vollgestopft mit Zeitungsstapeln und Bierkästen. Der ehemals vom Abriß bedrohte Kiosk entpuppte sich damals schon bald zur Keimzelle des Widerstands gegen die aufgemotzte Platzgestaltung. Angefangen mit der ganzen Sache habe er. Nachdem der Kleinunternehmer die offiziellen Stellen angeschrieben hatte, klinkten sich auch bald die Markthändler mit ein und die Interessengemeinschaft Winterfeldtmarkt war aus der Wiege gehoben. „Natürlich war das alles nicht so perfekt, wie sie das jetzt in der Projektgruppe machen.“ Aus einer Handvoll alarmierter Bürger entstand eine politisch arbeitende Truppe, die dem Bezirksamt auf die Pelle rückte.
Trotz Anwohner-Widerstand blieb das spärliche Grün auf der Strecke, und das historische Steinpflaster mußte auch dran glauben. Der Marktplatz blieb aber in seiner ursprünglichen Größe erhalten. Von der Atmosphäre der Hausbesetzer-Ära sei gar nichts mehr übrig, philosophiert Blank. „Ein Teil der Hausbesetzer ist wohl nach Kreuzberg oder in die BRD gezogen.“ Die Punk-Lady mit der Ratte auf der Schulter hat er schon ewig nicht mehr gesehen, „aber sonst überwiegen die Leute von früher“. Auch das Slumberland ist weiterhin bevölkert. „'Ne richtige Clique steht da 'rum und diskutiert. Man sieht FAZ, Rundschau und Zeit - da ist auch Intelligenz dabei.“
An die dichtgemachte Kneipe in der oft geschmähten Ruine erinnert sich der Kioskpächter gerne: „Da war echt Leben. Aber die Gläser durfte man nicht angucken - am besten aus der Flasche trinken.“ Zur Stammkundschaft gehörte auch Erna, die alte Hauswartsfrau der Ruine: „Sie saß in ihrer Freizeit mit am Tresen und hat Jägermeister mit Cola getrunken“. Und Schnee habe sie geschippt, als sie noch lebte, von der Ruine bis zu ihnen nach vorne. „Das muß zu der Zeit gewesen sein, als es das Geweih-Eck noch gab, schräg gegenüber“, überlegt Blank und zeigt auf das Cafe Sydney. Es sei jetzt eben alles ein bißchen schicker geworden. 'Rausgedrängt wurde der Eisenwarenhändler neben dem mittlerweile der Pizzeria gewichenen Supermarkt. „Und der fehlt sehr. Der war schon vor dem Krieg am Platz. Da konnte man noch jede Schraube einzeln kaufen.“ Jetzt soll eine Boutique die dreimal so hohe Miete einbringen.
Trotz Nobel-Sanierung rund um den Winterfeldtplatz läßt die Schickeria noch auf sich warten. Unbeeindruckt von der Fassadenkosmetik halten die Säufer dem Platz die Treue. Doch fielen sie nicht mehr reihenweise um wie noch bei seinem Vorgänger, beteuert der Kioskbetreiber.
„Die Arbeit im Kiosk ist nicht nur ein Geschäft“, bemerkt Blank nachdenklich. Da werden nicht nur Zeitungen, Bierdosen, Kaugummis und Tabak über den Verkaufstresen geschoben. Der tägliche Plausch mit den Kunden gehört einfach dazu, und das sei ein ganzes Stück Sozialarbeit. „Das ist schon 'ne Lebensaufgabe mit dem Platz.“ Dagmar Bednarek
Martin Breuninge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen