: Neonazi-Überfall in der Neustadt
■ Jugend-Bande in der Bremer Neustadt kam mit Rollkommando und zertrümmerte Haustür und Fenster Sozialhilfe-Empfänger in seinem Zimmer zusammengeschlagen / Polizei: „Nicht akut wichtig“
„Verkehrsunfall mit Streifenwagen“, „Unter Alkoholeinfluß Baum entwurzelt“, „Mädchen vom Pony gefallen“ - der Polizeibericht bot am Wochenende das Übliche. Was nicht erwähnt war: In der Nach vom Freitag auf Samstag, gegen halb zwölf, rückten zwischen 20 und 30 Jugendliche in der Lahnstraße an, und stellten sich vor einem Haus, mit den Rücken einen Kreis bildend, so auf, daß Nachbarn wenig von den Gesichtern sehen konnten. Sie zertrümmern die Scheiben des Hauses bis hoch zum zweiten Stock, treten die Tür ein. Ein Teil der Gruppe rennt nach oben. Einzelne der Jugendlichen werden von Nachbarn als „normal“ gekleidet beschrieben, einer der Anführer war offenbar ein kahlgeschorener junger Mann mit ganz kurzem Irokesen-Kamm. Er kommandiert auch einige seiner noch nicht volljährigen Kumpels zurück, die offenbar aus Angst das Weite suchen wollten. Vor der Tür steht gerade ein Auto - es wird demoliert. (s.unser Bild)
„Judensau“ und „Schlagt sie tot“ hört der gelernte Altenpfleger und Sozialhilfeempfänger B. im Flur brüllen, der im zweiten Stock gerade zu Bett gegangen ist. Im ersten Stock krachen Springer-Stiefel gegen die Türen, „ganz nach oben“ schallt ein Befehl durchs Treppenhaus, die Gruppe rennt zum zweiten Stock, tritt die Tür ein und dringt in das Zimmer
des Sozialhilfeempfängers ein. Tritte in Rücken und Nieren strecken ihn zu Boden, ein Baseball-Schläger trifft ihn am Kinn - nach wenigen Augenblicken verschwindet das Kommando. Die Polizei, von Nachbarn nach dem ersten Klirren der Scheiben alarmiert, ist schnell zur Stelle und versucht, die fliehenden Jugendlichen zu verfolgen. Der Zusammengeschlagene kommt blut überströmt die Treppe herunter, kann noch ein paar Fragen beantworten, bevor der Krankenwagen kommt.
Wenn die Schutzpolizei keinen
Täter ergreifen kann, schreibt sie ihren Bericht und gibt die Sache an die Kriminalpolizei ab, erklärt ein Beamter von der Wache am Sonntag das Verfahren. Er weiß nicht mehr, als im Buch eingetragen ist. Eine Festnahme findet sich nicht unter den Eintragungen im Polizeiprotokoll. Keiner der Hausbewohner ist 36 Stunden nach dem Überfall vernommen worden.
Hausbewohner wie auch die Nachbarn wissen, wer das war: Neonazis, sagen sie. Zum großen Teil Leute, die in dem umliegenden Straßen wohnen, die in einer
Pizzeria ein Stück weiter regelmäßig am Geldautomaten spielen. Schon vor Wochen wurde an der Tür des Hauses ein Aufkleber der „Liste D“ angebracht, später kamen rechtsradikale Sprüche mit dem Filzstift hinzu. Genau vor einer Woche waren sie schon einmal da, zerschlugen einige Scheiben, warfen einen Brandsatz ins Parterre-Fenster (dort wohnt ein alter Mann) und klebte ein Papier mit Hakenkreuz und „No remorse - Hitler was right“ an die Tür: Nichts bereuen, Hitler hatte Recht. Der Sozialhil feempfänger ging zur Wache
„Kindereien“ habe man zu dem Aufkleber gesagt, berichtete er der taz (vgl. taz v. 7.7.). Von der Polizei erwartet er überhaupt nichts, ließ sich aber nicht einschüchtern: Auf die Nazi-Sprüche an der Tür klebte er noch vor ein paar Tagen ein antifaschistisches Plakat.
Seit Freitag Nacht liegt er im Krankenhaus: Kieferbruch, Augenverletzung, Rippenbruch, Nierenprellung - ein völlig verunstaltetes Gesicht. Er kann nur flüssige Nahrung zu sich nehmen.
Seine Wohnung war am Sonntag durch die völlig zertrümmerte Tür zu betreten, überall im Haus lagen noch die Scherben, das zerschlagene Dachfenster in seinem Zimmer war nicht einmal gegen Regen geschützt.
Der Kommissar vom Dienst erklärte am Sonntag die Tatsache, daß der Nazi-Überfall nicht einmal im offiziellen Polizeibericht für die Presse steht, schlicht damit, der Vorfall sei „nicht akut wichtig“ gewesen, und es sei „relativ wenig“ passiert. Sicher ist er sich nur in einem: „Politisch hat das nichts mit links und rechts zu tun.“ Das Motiv allerdings sei „absolut unklar.“
K.W.
P.S.: Der Sozialhilfeempfänger sucht dringend ein preiswertes Zimmer, wenn er in zwei Wochen aus dem Krankenhaus kommt. Wer helfen kann, melde sich bei der taz.
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