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ZYNISMUS

■ Guillermo Cabrera Infante "Dreitraurige Tiger", aus dem kubanischen Spanisch

Kunststücke bietet Guillermo Canbrera Infantes „Drei traurige Tiger“ auf fast jeder Seite. Sein Roman, wenn man die 541 Seiten denn unbedingt so nennen möchte, führt Sprechweisen, Sprachstile vor, nein, stellt sie aus, brilliert virtuos und verbeugt sich vor dem ihm ohne Zweifel zustehenden Applaus. Da ist der Anfang: die Begrüßungsrede eines Conferenciers in einer Bar in Havanna, gleich danach unkeusche Erinnerungen aus einer kubanischen Kindheit auf dem Lande. Jedes Kapitel hat einen neuen Erzähler. Das beruhigt sich dann etwas, kommt in epischere Gewässer, aber immer wieder treibt Cabrera Infante seine Scherze - da beginnt das Kapitel „Ein paar Enthüllungen“ mit leeren Seiten, dann geht's spiegelverkehrt weiter, davor gab's ein Gedicht - , das sind Gags, die dem Text Rasanz geben, ihn vor besinnlicher Langeweile bewahren. Das Buch erschien auf spanisch schon 1967 und ist jetzt in der bewunderswerten Übersetzung Wilfried Böhringers erschienen. Es spielt überwiegend im vorrevolutionären Havanna unter intellektuellen Nachtschwärmern, die mit ihrem Autor die Vorliebe fürs Kino und schön anzusehende Frauen teilen. Eine Autofahrt durchs nächtliche Havanna mit viel Alkohol und jeder Menge freier Assoziation gehört sicher zu den gelungensten hundert Seiten der letzten Jahre. Mitten im virtuosen Sprachrausch dann plötzlich:

„Es gibt nur eine Lösung. Für meine Probleme. Eine Einzige.“

„Wewelche denn?“

Er beugte sich in alkoholischen Wellen zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr:

„Ich geh inds Sierra.“

„Es ist noch zu früh für die Nacht und schon viel zu spät für den frühen Morgen. Es ist bestimmt noch nicht auf.“

„In die Sierra, nicht ins Sierra.“

„Nach Nicanor del Campo? Jetzt?“

„Nein, verdammt ich geh in die Berge. Ich greif zu den Waffen. Ich schließ mich der Guerrilla an.“

Die Wellen der Konjunktur. Die ehemaligen Revolutionäre durchfahren heute von Bar zu Bar, intelligente Zynismen austeilend, das nächtliche Berlin. Die älteren hatten von diesen Streifzügen zum langen Marsch der Revolution gefunden.

Guillermo Cabrera Infante, Drei traurige Tiger, aus dem kubanischen Spanisch von Wilfried Böhringer, Suhrkamp -Verlag, 541 Seiten, 48,-DM

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