: In Bremen reich werden: Harte Arbeit, softe Ware
■ Nach fünf Jahren Alternativbetrieb steigt ein Bremer ins high-tech-Geschäft ein und versucht, schwarze Scheiben mit einer halben Million Gewinn-Prozenten zu verkaufen / Teil II der taz-Serie über Selfmade-(wo)men und ExistenzgründerInnen
Sigi Wegner gehört zu jenen Typen, die schon einen Home -Computer besaßen, als viele noch glaubten, daß schwarz-weiß -fernsehen den Charakter verdirbt. Damals entzog Wegner seinen „Commodore“ erster Baureihe noch diskret den argwöhnischen Blicken unerwarteten Besuchs und deponierte ihn unterm häuslichen Schreibtisch. Das ersparte mißbilligende Kommentare aus dem intimsten Freundeskreis und erfüllte das simpelste Soll alternativen Selbstverständnisses. Schließlich arbeitete Wegner damals mitten im Herzen der Bremer Alternativ-Szene: Ganz antiautoritär brachte der gelernte Elektriker, Techniker und Zweite-Bildungsweg-Abiturient arbeitslosen Jugendlichen in der selbstorganisierten Ausbilduungskooperative „aucoop“ Kabelverlegen, Schaltungen bauen und Gerätereparieren bei.
Inzwischen ist die Scham vorbei und ein ausgeglichenes Konto kein Zeichen mehr für Moralver
fall. Neben der endgültigen Aufhebung der Trennung von Hand -und Kopfarbeit träumt Wegner inzwischen auch andere Träume. Zum Beispiel: Im Großhandel kleine schwarze Scheiben zum Stückpreis von 1,20 einkaufen und mit einer halben Million Prozent Aufschlag für 5.000 bis 7.000 Mark verkaufen. Allerdings: So einfach, wie's klingt, ist das Geschäft mit den schwarzen Scheiben, im high-tech-Jargon „Disketten“ genannt, auch nicht.
Denn vor ihren Verkauf hat der liebe Gott die gespeicherte software gesetzt, mit der die kleinen runden Dinger rohe Computer-Gewalt zu anstelliger Bürohilfstätigkeit bändigen und allem als hardware auf die Welt gekommenen Leben Sinn und Ziel geben. Die Kunst aller software-Tüftler, also auch Sigi Wegners: Immer neue Anwendungsbereiche zu finden auf dem Siegeszug des Computers durch die deutsche Bürolandschaft.
Sigi Wegner hat sich auf den
Einsatz des Computers in Versicherungsbüros spezialisiert. Wer Disketten mit seinem Programm sein eigen nennt, kann auf auf Knopfdruck erfahren, welche von 32 Versicherungsgesellschaften für 47-jährige alleinstehende Kontaktlinsenträger mit einem Brutto-Einkommen von 3.900 Mark und gelegentlichen Heilpraktikerbesuchen die günstigsten Konditionen bietet und wo verheiratete Mütter mit zwei Kindern und laufender Parodontose-Behandlung am besten aufgehoben sind. Ein feines Programm. Auch für den Hersteller: Denn weil Versicherungen die Angewohnheit haben, ihre Beiträge zu erhöhen, empfiehlt sich bei Anschaffung des Programms auch gleich der Abschluß eines Wartungsvertrags. Gegen eine Gebühr von 39 Mark im Monat bringt Wegner bei ihm gekaufte Disketten jeweils auf aktuellsten Versicherungs -Daten-Stand.
Dabei hat alles einmal ganz simpel und schon zu den schön
sten Alternativ-Zeiten angefangen, nämlich mit Sigis Bruder. Der unterhielt nämlich schon eine private Versicherungsagentur und suchte Tag für Tag aus Stapeln von Versicherungstarifen günstige Angebote zusammen, als Sigi Wegner sozusagen noch am anderen Ende der bundesdeutschen Berufspalette arbeitete. Teil I, ganz harmlos, des späteren Einstiegs ins große high-tech-Geschäft: Einmal alle Versicherungsdaten in den Computer füttern und nie mehr blättern müssen. Teil II: Zum eigenen Computer einen Drucker kaufen, einen
Verlag gründen, den Drucker Vergleichstabellen mit Krankenversicherungs-Tarifen drucken lassen, den Verlag die Tabellen an andere Versicherungsagenturen verkaufen lassen. Teil III: Inzwischen sind Computer so billig geworden, daß Sigi Wegner statt der Tabellen lieber gleich die ganzen Disketten verkauft und gegebenenfalls den Computer gleich dazu.
Ein Diametralwechsel von der Müsli-zur Marktwirtschaft also? Wegner hat zwar die kollektive aucoop -Unordnungsgemütlichkeit in der Weberstraße mit schic
kem Schleiflackweiß in der Schleifmühle vertauscht, als ihn mit nichts als ein paar Disketten und ein paar längst fehlinvestierten Ersparnissen die Existenzgründer-Lust packte. Aber hinter dem neuen Schreibtisch mit Anrufbeantworter, Bildschirm und alugerahmten Deko -Kunstkalenderblättern sitzt immer noch ein Jeans-Typ mit dem Haarschnitt, der an jedem Wohngemeinschaftstisch zustandegekommen sein könnte und dem man jederzeit zutraut, daß er schwarz-weiß-fernsehen für charakter-schädigend hält.
K.S.
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