: Groschenroman
■ Wie Fiat mit Hilfe der Deutschen Bank und der Kleinigkeit von drei Milliarden Dollar die unbequemen Libyer loswurde
Giampaolo Pansa hat ein Buch über den Fiat-Konzern geschrieben. Es ist ein Interview mit Cesare Romiti über die letzten fünfzehn Jahre. Erschienen ist der Band im Verlag Rizzoli. Wir veröffentlichen Auszüge aus dem Kapitel „Tschüß, Ghaddafi“.
Das Jahr 1986 war für den Fiat-Konzern ein wichtiges Jahr. Nicht zuletzt wegen des Auszugs der Libyer. Die zehn Jahre vorher begonnene Geschichte schloß mit einem Kriegsbild ab. Die USA beschuldigten Ghaddafi einer der Befehlshaber des internationalen Terrorismus zu sein und auf libyschem Territorium den in Europa operierenden Einheiten einen Stützpunkt zu bieten. Anfang April 1986 erreichte die Krise ihren Höhepunkt. Am 5. explodierte in Westberlin in der Diskothek La Belle, die viel von amerikanischen Soldaten besucht wurde, eine Bombe. Ein Soldat starb, hundert wurden verletzt. Die Geheimdienste der USA beschuldigten die Libyer. Drei Tage darauf beschloß Reagan einen Gegenschlag. In der Nacht vom 14. auf den 15. April vereinigten sich 18 amerikanische F-111-Kampfflugzeuge, die vom englischen Stützpunkt Lakenheat gestartet waren, vor der libyschen Küste mit 16 anderen Flugzeugen, die von den Flugzeugträgern „America“ und „Coral Sea“, die im Mittelmeer waren, starteten. Am 15. April um 15 Uhr bombardierte das Sturmgeschwader Tripoli, Bengasi, den Flottenstützpunkt Sidi Billal, das Flugfeld, die Wohnviertel von Bab el Aziziya, der Residenz Ghaddafis. Am Nachmittag desselben Tages wurden von Libyen aus zwei Scud-Raketen auf die NATO-Basis auf Lampedusa, italienischem Territorium, abgefeuert. Aber sie fielen kurz vor der Küste ins Meer. Eine Woche später präsentierte das amerikanische Außenministerium ein Weißbuch zum internationalen Terrorismus. Fünfzehn Prozent aller Attentate, die im Jahre 1985 irgendwo auf der Welt verübt wurden, gingen demzufolge auf das Konto Libyens und Ghaddafis. Dr. Romitti, Ghaddafi war für den Fiat-Konzern ein sehr unbequemer Partner geworden?
Ja. Ghaddafi wurde in unseren Augen auch deshalb immer unbequemer, weil die Intoleranz der USA, in ihm ihren Feind, die Personifikation des Feindes Nummer Eins der USA, identifiziert hatten. Der Fiat-Konzner hatte riesige Schwierigkeiten auf dem amerikanischen Markt. Wir standen im Zentrum nichtendenwollender Attacken. Es gab Fernsehsendungen, in denen der Haß gegen Libyen sich in Haß gegen uns verwandelte, weil wir in unseren Verwaltungsgremien Ghaddafis Männer sitzen hatten. Es begann ein Boykott gegen unsere Produkte. Es gab amerikanische Politiker, die erklärten: Man darf nichts von Fiat kaufen, denn ein Teil des Gewinns, der in Turin gemacht wird, geht an Ghaddafi. Es meldete sich jetzt auch die protektionistische Seele der Vereinigten Staaten, auch wenn sie sich noch hinter patriotischen Vorwänden versteckten. Da gab es zum Beispiel den Vertrag mit Fiat Allis, eine kleinere Angelegenheit. Es ging um Bohrgeräte für acht Millionen Dollar, die die US-Regierung kaufen wollte. Die Fiat Allis hatte das günstigste Angebot vorgelegt, da wurden die Verhandlungen von oberster Stelle blockiert. Andere wurden bevorzugt. Diese Entwicklungen beunruhigten uns sehr. Vor allem unseren Mann in New York, Furio Colombo, Präsident der Fiat USA. Er stand an der Front, bekam den Ärger mit, und bestürmte uns täglich mit Telefonanrufen. Ich erinnere mich, daß ich eines Tages ihm sagte: Die USA haben das Recht, ihre Interessen zu verteidigen, aber ich hätte nicht gedacht, daß sie uns gegenüber zu so hysterischen Reaktionen fähig sind. Ist denn der ganze amerikanische Mythos von der Freiheit, vom Markt das Papier wert, auf dem er geschrieben ist?
Das waren nicht die einzigen Probleme. Da war noch die Beteiligung einiger Firmen der Fiat-Gruppe bei SDI, beim Sternenkrieg. Hat man Ihnen nicht erklärt, daß solange Sie mit Ghaddafi assoziiert sind, die Idee aufgeben könnten, bei SDI mitzumachen?
Ja, einige unserer Firmen wie zum Beispiel die Snia-Bpd, die auf dem elektronischen Sektor arbeiten, waren mit von der Partie. Für diese Auffassung Washingtons hatte ich schon mehr Verständnis. Es handelte sich um einen Plan zur Verteidigung der USA. Und sie konnten fürchten, daß irgendwie die Libyer da ihre Nase hineinstecken könnten. Was ich nicht verstand, war, warum andere Wirtschaftszweige wie diese Bohrmaschinen boykottiert wurden. Vor allem aber ärgerte mich, daß die Amerikaner uns im entscheidenden Punkt kein Vertrauen schenkten: Die Libyer hatten sich niemals, ich wiederhole, niemals, in die Angelegenheiten des Fiat -Konzerns, geschweige denn in die Aktionen der Firma, eingemischt. Sie hatten sich immer benommen wie ordentliche Bankers und waren stolz auf ihre Operation von 1976, vor allem nach der Sanierung der Gruppe und dem Anstieg der Fiat -Aktien. Sie betrachteten die Sache als eine lehrbuchreife Leistung, gegen die kein Finanzier keines Landes der Welt irgendetwas einwenden könnte.
Aber diese libyschen Finanziers wurden immer unbequemer, so als hätten sie selbst die Bomben gelegt...
Damals im Juni 1986 begannen wir, unter den Libyern des Aufsichtsrates, die wir öfters sahen, zu sondieren, ob Libyen Absichten habe, seinen Fiat-Anteil zu verkaufen. Es gab noch einen anderen Grund für unsere Nachforschungen: Die positive Entwicklung des Fiat-Konzerns und der allgemeine Börsenanstieg hatten den Wert des libyschen Pakets erheblich gesteigert. Damals erklärte die Fiat-Holding Ifi öffentlich, sie sei bereit, die libyschen Aktien, falls Libyen sie verkaufen wolle, zu kaufen. Es gab schon eine Vereinbarung, die der Ifi ein Vorkaufsrecht einräumte. Daraus wurde damals nichts, weil die Libyer noch nicht soweit waren. Sie gaben eine Presseerklärung heraus, in der sie betonten, sie hätten auch nicht das geringste Interesse, ihr Fiat-Paket zu verkaufen.
Welcher Libyer sagte nein zu dieser Aktion? War es Saudi?
Nein, Saudi war nicht mehr im Aufsichtsrat der Fiat, sondern nur noch in dem der Iveco. Er hatte den Aufsichtsrat der Fiat verlassen, als er Präsident der Arab Banking Corporation wurde. Diese Bank hat ihren Sitz in Bahrein, arbeitet in aller Welt mit Kapital aus den arabischen Emiraten und natürlich aus Libyen. Das Nein kam damals von zwei libyschen Aufsichtsratmitgliedern, Mohammed T.H. Siala und Ali Mahmoud Elgheriani. Mitten in diesem Hin und Her gingen wir im August '86 in Urlaub. Mitten in den Ferien bat Saudi plötzlich darum, Agnelli sehen zu können. Sie trafen sich in der Schweiz. Saudi erklärte, er habe das Gefühl, für Libyen sei möglicherweise der Augenblick gekommen, das Fiat -Paket zu verkaufen. Saudi erklärte Agnelli, man könne die Aktion jetzt unter zwei Voraussetzungen durchführen. 1. Keine Öffentlichkeit während der Kontaktgespräche. 2. Alles so schnell wie möglich, damit Ghaddafi es sich nicht noch einmal anders überlegen kann.
Warum hatten die Libyer nach einem monatelangen Nein sich jetzt doch anders besonnen?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich denke, es gab zwei Argumentationsketten. Vielleicht brauchten sie Geld. Zweitens fühlten sie sich von der Feindseligkeit der Welt eingekreist und befürchteten nach den beiden Raketen auf Lampedusa eine italienische Reaktion, zum Beispiel die Blockierung der bei der Banca d'Italia deponierten libyschen Aktien. Bei dieser ersten Begegnung fragte Saudi Agnelli: Wie können wir es machen, wer wird für Euch verhandeln? Agnelli antwortete: Es gibt da jemand, der uns schon vor zehn Jahren, als ihr bei Fiat eingestiegen seid, geholfen hat, Dr. Cuccia. Wir werden ihn wieder um seine Hilfe bitten. Saudi war glücklich: Dr. Cuccia! Hervorragend, ich werde ihn gerne wiedersehen. Agnelli: Auf unserer Seite werden auch Dr. Gabetti und Dr. Romiti verhandeln. Zur ersten Begegnung kam es in Zürich am 25. August 1986. Auch die späteren Verhandlungen spielten sich alle in Zürich ab, es war der Ort, der für alle am leichtesten zu erreichen war.
Wie wurde der Preis bestimmt?
Sie forderten, der Verkauf müsse vom Börsenkurs ausgehen. Die Börse befand sich damals im Anstieg, sie war es seit vielen Monaten, seit Ende 1985. Wir rechneten ein wenig. Grundlage war die Quotierung vom 25. August 1986. Hier muß ich leider ein paar Zahlen nennen. Das libysche Paket oder besser die Fiat-Beteiligung der Libyan Arab Foreign Investments Company (Lafico) bestand aus drei Teilen: 205.081.800 normale Aktien (das entspricht 15,19 Prozent aller normalen Fiat-Aktien); 88.338.150 Vorzugsaktien (das entspricht 13,09 Prozent); 29.341.995 Sparaktien (13,04 Prozent). Am 25. August 1986 wurden an der Mailänder Börse die Fiat-Aktien folgendermaßen bewertet: 15.900 Lire für eine normale Aktie, 10.300 für die Vorzugsaktie und 9.000 für die Sparaktie. Der Gesamtwert der Fiat-Beteiligungen der Lafico betrug damals also mehr als 4.000 Milliarden Lire, genau gesagt 4.478 Milliarden, etwas mehr als drei Milliarden Dollar, genau gesagt 3.182 Millionen Dollar. Bei einem Kurs 1.407,3 Lire für einen Dollar.
Das hatten die Libyer verlangt?
Sie wollten mehr. Sie erklärten, der Börsenwert liegt bei drei Milliarden Dollar. Aber da es sich um ein sehr wichtiges Paket handelt, immerhin um 15,19 Prozent der Normal-Aktien, verlangen wir einen Aufschlag. Bei der ersten Begegnung ging Saudi noch weiter: Er erklärte, er habe einen Käufer, eine große Bank, die entschlossen sei, dieses Paket zu übernehmen. Stimmte das? Stimmte es nicht? Ich weiß nicht. Ich nehme an, Saudi wollte den Preis treiben. Sie verzichteten später auf den Aufschlag und erklärten sich mit drei Millionen Dollar für die Transaktion einverstanden. Dafür stellten sie andere Forderungen. Die erste war, daß auf keinen Fall irgendeine amerikanische oder englische Bank beteiligt sein darf. Erinnern wir uns, die Verhandlungen fanden kurz nach der Bombardierung Tripolis‘ statt. Die Libyer fürchteten, ihre Fiat-Aktien könnten blockiert werden. Diese Weigerung, amerikanische oder englische Banken miteinzubeziehen, komplizierte das Verfahren, denn so wurden die wichtigsten internationalen Banken ausgeschlossen.
An wen wandten sie sich?
Zunächst sprach Ifi mit einer der drei großen Schweizer Banken. Sie reagierte zunächst positiv, wollte aber etwas Bedenkzeit. Es war Vormittag und wir erwarteten einen Rückruf am Nachmittag. Am Nachmittag kam die Überraschung: Die Schweizer Bank erklärte, nein, sie wolle wegen der internationalen Implikationen der Geschichte die Sache nicht machen. Wir dachten damals an eine italienische Bank. Aber unsere Versuche in dieser Richtung führten zu keinem Ziel. Die Operation war zu groß, und die Libyer verlangten sofortige Bezahlung nicht in Dollar, sondern in anderen Währungen mit sehr komplizierten Bedingungen, so daß wir auf die italienischen Banken besser verzichteten. Auch, weil es sich bei dem investierten Kapital um ausländisches handelte, wären für die italienische Zahlungsbilanz große Schwierigkeiten entstanden. An diesem Punkte angelangt, wandten wir uns an die größte deutsche Bank, die Deutsche Bank. In Frankfurt erbaten sie sich 72 Stunden Zeit für eine Entscheidung. Wir waren sprachlos: Drei Tage Zeit? Sie bestätigten, ja, sie brauchten drei Tage, denn sie müßten nicht nur prüfen, ob sie die Operation durchführen könnten. Es gäbe da noch ein anderes Problem. Sie ließen uns verstehen, daß sie eine Autorität fragen wollten, ob die Bank sich mit der Affäre Fiat-Libyen beschäftigten dürften oder nicht.
Wollten Sie mit der Bundesregierung reden?
Wir dachten zunächst nicht an die Bundesregierung, sondern an die Bundesbank. Drei Tage später meldete sich die Deutsche Bank und erklärte sich bereit und teilte uns mit, sie habe auch eine Art Genehmigung erhalten. Erst, nachdem alles vorbei war, erfuhren wir, daß es sich nicht um die Bundesbank, sondern um das Kanzleramt gehandelt hatte. Sie hatten Kanzler Kohls Zustimmung eingeholt. Kohls Antwort war: Der Fiat-Konzern ist eine große europäische Firma, wir sind sehr interessiert daran, daß das libysche Kapital aus dem Fiat-Konzern aussteigt, wenn die Bank davon etwas hat, soll sie es tun. Wie Sie sehen, ein mutiger Politiker mit viel Sinn für Europa. Endlich hatten wir also ein Bankinstitut, das das gesamte Paket aufkaufte, um es auf den internationalen Markt zu werfen. Ein Teil dieser Operation interessierte die Fiat kontrollierende Gruppe. Wenn sie etwa 90 Millionen der Normalaktien kaufte, so wäre ihr Anteil von 32 auf 40 Prozent gestiegen. Man entschloß sich also, das Paket in zwei Teile zu teilen.
Das Ganze war eine sehr schnelle Aktion. Sie begann am 25. August und wurde mit der offiziellen Bekanntmachtung am 23. September 1986 nach weniger als einem Monat also abgeschlossen.
Es gab vier oder fünf Begegnungen in Zürich. Das schwerste Problem war der Preis des Gesamtpakets. Ich weiß, was man später darüber schrieb. So hieß es, daß man, um den Libyer drei Milliarden Dollar zahlen zu können, den Fiat-Kurs an der Börse hochgetrieben habe. Man erklärte, wir hätten durch eine raffinierte Börsenregie den Markt, die Kosten für die libysche Aktion, zahlen müssen. So war es ganz und gar nicht. Wie ich Ihnen schon erklärte, verlangten die Libyer vom ersten Termin an den Börsenpreis, also 3Millarden 182 Millionen Dollar, 4.478 Millarden Lire. Und da es sich um ein großes Paket handelte, wollten sie auch einen Aufschlag. Die Ifi wollte abschließen und um jeden Preis raus aus der Affäre. Moral der Geschicht: Der Aufschlag mußte nicht bezahlt werden, aber es war unmöglich, den Preis unter drei Milliarden Dollar zu drücken.
Aber die Ifi hat doch gerade im September Fiat-Aktien gekauft und verkauft.
Das ist kein Geheimnis. Gabetti erklärte in 'Il Mondo‘ am 6. Oktober 1986: „Zwischen dem 10. und 20. September haben wir fünf Millionen Fiat-Aktien gekauft zu Preisen zwischen 15 und 16.000 Lire. Unser Ziel war, die Aktie während der Verhandlungen unter Kontrolle zu halten.“ Das ist deutlich oder? Um es noch klarer zu machen: Da der Preis mit den Libyern schon ausgehandelt war auf Basis des Standes vom Ende August, durfte die Aktie nicht zu sehr schwanken.
Kommen wir noch einmal auf den Tag der Veröffentlichung zurück. Stimmt es, daß am Morgen des 23.September 1986 Spadolini, der damalige Verteidigungsminister der Regierung Craxi, vorinformiert wurde?
Am Morgen nach Abschluß des Vertrages telefonierten wir ein wenig herum, um die politischen Stellen zu informieren. Das ist in solchen Fällen üblich. Spadolini hat das im Gespräch mit einigen Journalisten herausgelassen, und Gabetti hatte das Telex mit der Meldung über den Vertrag mit Libyen in Zürich auf dem Tisch, als die Unterschriften noch nicht geleistet waren. So etwas kommt vor. Spadolini hat geredet. Das ist so seine Art. Aber wir haben daraus gelernt: In bestimmten Fällen ist es besser, mit niemandem zu telefonieren.
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