: Über 60.000 Berliner verschenken Geld
■ 50 Prozent aller Berechtigten nehmen ihren Anspruch auf Wohngeld nicht wahr / Vor allem Rentner und Ausländer zieren sich vor dem ohnehin kargen Zuschuß / „Wohngeld ist kein Ersatz für soziale Wohnungsbaupolitik“ meint der Mieterverein
50 Prozent aller Wohngeld-Berechtigten - so die Schätzung des Mietervereins - nehmen ihren Anspruch auf Wohngeld nicht wahr. Hauptgrund dafür ist, daß Wohngeld im Geruch des „Almosens“ steht. „Wer seine Menschenwürde wahren will, verzichtet auf das Wohngeld“, sagt Armin Hentschel vom Berliner Mieterverein.
So konnte beispielsweise eine 79jährige Rentnerin jetzt erst vom Mieterverein überredet werden, einen Wohngeld -Antrag beim bezirklichen Wohnungsamt einzureichen. Die Frau erhält monatlich 670 Mark Rente. Ihre Miete beträgt 600 Mark warm. Was sie über die Miete hinaus zum Leben braucht, verdient sie sich durch Näharbeiten. Theoretisch hätte sie auf 158 Mark Wohngeld Anspruch und auf etwa 400 Mark Sozialleistungen.
Aber - „das verbietet mein Stolz. Ich bin nämlich Löwe.“ Und sie fügt hinzu: „Ich habe noch nie gebettelt.“ Der Mieterverein hat für sie das Formular ausgefüllt. „Ich habe dem nur zugestimmt, weil mir diese Leute auf den Wecker gingen. Aber ehrlich gesagt, diese ganze kleinliche Rechnerei finde ich zum Kotzen.“
Aber nicht nur Renter schrecken vor dem Gang zum Wohnungsamt zurück. „Ausländer haben massive Schwierigkeiten, ihren Wohngeld-Anspruch zu definieren“, so Jörg Hartmann vom Mieterverein. Sie wollen nicht „auffallen“. „Wir haben schon oft für die Leute die Formulare ausgefüllt, aber sie haben die Formulare dann trotzdem nicht abgegeben.“ Hartmann berichtet von einer Familie mit vier Kindern, die in einer 70 Quadratmeter großen Wohnung lebt. „Weil diese Wohnung überbelegt, also für sechs Personen zu klein ist, haben die Leute von vornherein Angst vor dem Wohnungsamt. Dabei ist diese Angst überflüssig, weil das Wohnungsamt dafür nicht zuständig ist.“
Die Bauverwaltung sei sich nach Angaben ihres Pressesprechers der Situation um das Wohngeld bewußt. „Einmal im Jahr machen wir durch entsprechende Reklame auf die Wohngeld-Ansprüche beziehungsweise den Mietausgleich, den es zusätzlich zum Wohngeld bei den teureren Neubau -Wohnungen gibt, aufmerksam.“ Die Wohngeldberechtigung richtet sich nach der Höhe des Einkommens und der des Mietgefüges. Das bedeutet, daß das Einkommen beispielsweise einer alleinstehenden Person bei maximal 1.250 Mark netto liegt und deren als angemessen betrachtete Höchstmiete bei einer vor 1965 gebauten Wohnung bei 305 Mark.
Wer nun zum Beispiel von 1.000 Mark leben muß, wobei die Miete etwa 500 Mark beträgt, hat einen Anspruch auf 43 Mark. Nicht viel, aber doch Grund genug, zum Wohnungsamt zu gehen. Derzeit beziehen 65.000 Menschen in Berlin Wohngeld.
„Natürlich ist das Wohngeld kein Ersatz für Mieterschutz und soziale Wohnungsbaupolitik“, sagt Arnim Hetschel vom Berliner Mieterverein. So lautete eines der Argumente des Senats, als die Mietpreisbindung im Altbau aufgehoben wurde, daß die Menschen ihre teureren Mieten durch Wohngeld ausgleichen können.
Doch dafür reicht der kurz gehaltene Betrag hinten und vorn nicht. Seit Jahren kritisiert der Mieterverein, daß die Einkommens- und Mietobergrenzen nicht der Inflation angepaßt wurden. „Immer mehr Menschen fallen damit aus der Wohngeld -Regelung heraus“, sagt Armin Hentschel. Und, was genau so schlimm ist: Studenten haben in der Regel überhaupt keinen Anspruch auf Wohngeld, auch wenn ihr Bafög ausgelaufen ist.
E.K.
Wohngeldanträge sind beim Wohnungsamt des zuständigen Bezirksamtes erhältlich.
Beratung in Sachen Wohngeld erteilen die Mieterorganisationen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen