: Weißblaue Tagesschau dank Höherer Gewalt
Tagesschau nach Warnstreik aus Bayern gesendet / In der Ersatz-Tagesschau kein Wort zum Streik / Neue Diskussionen um 'ARD-Aktuell'-Standort Hamburg ■ Aus Hamburg Axel Kintzinger
Jan Hofer saß schon auf seinem Ansagerstuhl. Zwar hatte der 37jährige 'Tagesschau'-Sprecher am Montag abend bereits gehört, daß wegen Warnstreiks im NDR-Fernsehstudio Hamburg -Lokstedt einige Grafiken und Fotos ausfallen würden - daß er aber noch fünf Minuten vor Sendebeginn allein im Studio sitzen würde, hatte er nicht gedacht. 33 Jahre 'Tagesschau‘, und nie ist sie ausgefallen. Wie verwurzelt blieb Hofer hinter seinem Tischchen sitzen und wartete, bis die amtliche Bestätigung in der Person des Chefredakteurs hinter den Kameras auftauchte und ihm zu verstehen gab, er könne aufstehen - „Die 'Tagesschau‘ fällt heute aus.“
Was war passiert? „Eine Minderheit von etwa zwölf Technikern“, so NDR-Intendant Peter Schiwy (CDU), hatte „in unverantwortlicher Weise gehandelt“ und der Tarifauseinandersetzung zwischen NDR und dem Hamburger Verband der Gewerkschaft Rundfunk-Fernsehen-Film-Union (RFFU) bundesweite Beachtung beschert. Wie berichtet, waren die Tarifverhandlungen nach sechsmonatiger Dauer in der vergangenen Woche ergebnislos abgebrochen worden. Der RFFU -Forderung nach einer Gehaltserhöhung um 3,2 Prozent in den nächsten beiden Jahren entgegnete der NDR mit einem Angebot über lediglich 2,4 Prozent für 1988, 1,4 für 1989 und weiteren 1,7 Prozent Tariferhöhung für 1990. Auch in der Frage der Arbeitszeitverkürzung kamen die Tarifgegner auf keinen gemeinsamen Nenner. Nach dem Warnstreik hat nun NDR -Intendant Schiwy der RFFU weitere Gespräche angeboten.
Bereits Montag nachmittag hatten rund 50 CutterInnen die Arbeit für drei Stunden niedergelegt, die Regionalsendungen des NDR konnten nur mit Mühe in gewohnter Qualität über den Sender geschickt werden. Bei der 'Tagesschau‘ ging indes nichts mehr. Henning Röhl (CDU), Barschel-Zögling und neuer Leiter von 'ARD aktuell‘ (und damit Fortsetzung auf Seite 2
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„Tagesschau“ und „Tagesthemen“), roch den Braten und informierte schon am Nachmittag andere ARD-Sender. Die Schützenhilfe des Bayerischen Rundfunks (BR) wurde schließlich in Anspruch genommen - immerhin gestaltet der CSU-dominierte Sender seit zwei Jahren eine eigene Nachrichtensendung auch mit nationalen und internationalen Themen, die „Rundschau“ auf dem Dritten Programm.
Vor zwei Jahren auch wurden zum letzten Mal Diskussionen laut, „ARD aktuell“ aus Hamburg zu verlagern. Gestrige Aussagen von ARD-Verantwortlichen deuten darauf hin, diese Diskussion jetzt fortzusetzen. Röhl lobte den „Tagesschau„ -Transfer: „Das beweist, daß die ARD flexibel ist.“ Und: „Nun hat der Bayerische Rundfunk gezeigt: Auch andere können die 'Tagesschau‘ machen.“ BR-Aktuellen-Chef Heinz Klaus Mertes (CSU) erklärte das Einspringen damit, daß das Bayerische Fernsehen „sowieso gewöhnt“ sei, „Weltnachrichten -Sendungen zu gestalten“.
Hamburgs RFFU-Chef Volker Bräutigam sieht das nicht so. Für den früheren „Tagesschau„-Redakteur war das Münchener Ersatzprodukt „eine ziemlich dürftige „Konserve“, bei etwaigen Überlegungen einer Verlagerung von „ARD aktuell“ wolle man von Gewerkschaftsseite den Qualitätsfaktor in die Waagschale werfen. Bräutigam konnte über die zur Ersatz -„Tagesschau“ aufgepeppte Bayern-Rundschau noch lächeln, doch die Begründung für das in der westdeutschen Fernsehgeschichte eimalige Ereignis brachte ihn auf die Palme. Mit „höherer Gewalt“ und einem „Technikausfall“ hatte sich der Münchener Ersatzmann Michael Winter bei seinen Zuschauern entschuldigt - der Warnstreik wurde mit keinem Wort erwähnt.
„Nachrichtenverfälschung allerersten Ranges“, grollte die RFFU und mag nicht an die Erklärung aus München glauben, man habe nur diese Informationen vom NDR erhalten und hätte den wahren Grund nicht mehr recherchieren können. Erst in den folgenden „Tagesthemen“ konnte Moderator Hans-Joachim Friedrichs die Zuschauer aufklären.
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