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LOKALTERMIN

Ich mußte es riskieren. Jeder Windzug im offenen Wurzelkanal meines rechten Schneidezahns schubste mich über den Rand der Verzweiflung. Keine noch so starke Schmerztablette half, und zum Zahnarzt krieche ich nur auf allen vieren. So holte ich die Tüte mit den Hamsterködeln aus dem Versteck und stopfte mir einen in das zuckende Loch. Der Schmerz beruhigte sich sofort, und auf der Straße pfiff ich schon ein Liedchen durch meine hohle Zahngasse. Die Sonne glotzte herab und empfahl mir ein Eiscafe.

Ich schlängelte mich über den Betonplatz, bis ich einen freien Stuhl unter einem riesigen Sonnenschirm fand. Trotz kompletter Asphaltierung war das hier ein herrlicher Platz. Die Sonne ging, nach einer kurzen Unterbrechung hinter dem Kirchturm, relativ spät unter. So launte ich mich in den langen Sommerabend, bestellte ein Tartuffo, und nach einer halben Stunde erhielt ich ein Gin Tonic. Aus der kleinen, italienisch-amerikanisch gestylten Bar drang ein Violin -Konzert in D-Dur und aus der gegenüberliegenden U-Bahn -Station jede Menge Menschen, die sich vor dem Cafe in alle Richtungen verteilten. An diesem Punkt überschneiden sich die Kulturkreise Neukölln und Kreuzberg. Entsprechend bunt gestaltete sich die Szene. Zwei langhaarige, in weiße, ärmellose Putzlappen und Klebejeans gestopfte Typen trieben ihre Schäferhunde zum Fahrradstand, wo sie sich beißend Luft verschafften. Neben mir zankte sich ein ordentlich gekleidetes Pärchen über den richtigen Weg ins Kino, links, an der Bushaltestelle, kämpfte die Pennerin mit ihrem Penner um die letzten Tropfen. Mehrere modernisierte Neudreißiger tauschten ein paar Neuigkeiten und ihre Sonnenbrillen aus. Hinter mir schnackten drei blondgesträhnte und mit schwarzem, kurzen Stretch verformte Frauen mir eine Glatze in den Hinterkopf. Aber dann tauchte sie auf. Die gemeine Stadtwespe. Suchte sich und besonders mein Gin Tonic als Nahrungsmittel aus, krabbelte ins Glas, auf den Strohhalm, über meine Glatze, auf den Rand der Brille, unter meine Armbanduhr, in die Mitte der Zitronenscheibe und war dann plötzlich wieder verschwunden. So nahm ich das Glas seelenruhig in die Hand und saugte am schwarzen Strohhalm. Die Wespe war nicht verschwunden. Sie hatte es sich im Strohhalm nur bequem gemacht, wurde nun unfreiwillig in meinen Mund gespült und fand das ziemlich Scheiße. Wütend bahnte sie sich ihren Weg und landete direkt auf dem aufgeweichten Hamsterködel und stach sich im Wurzelkanal angstfrei. Ich hätte sterben müssen, bekam aber einen sonderbaren Flash, fühlte mich schwebeleicht und fing an zu lachen. Lachte beim Bezahlen, lachte beim Hinfallen, lachte über die drei schönen Frauen, lachte in der U-Bahn während der Kontrolle, lachte noch siebzehn Stunden. Dann ließ die Wirkung langsam nach, und ich wußte, das Schicksal hatte mir in der Kombination Hamsterködel/Wespenstich eine neue Droge zugespielt, von der nur ich wußte und die die ganze Menschheit verändern konnte. Thomas Böhm

Cafe Atlantis, Südstern, Körtestraße/Ecke Hasenheide

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