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Sizilianisches Erdbeben erschüttert Rom

Versetzungen und Rücktrittsgesuche schwächen Palermos Polizei in der Mafia-Bekämpfung / Sizilianische Polizeichefs und Carabinieri-Oberste intervenieren in Rom / Mafia-Fahnder Falcone und Chef von Palermos Mordkommission wollen gehen  ■  Aus Rom Werner Raith

Palermo findet derzeit vorwiegend in Rom statt: mehr als zwei Dutzend hohe Ermittlungsbeamte geben einander am Sitz des Obersten Richterrates die Türklinke in die Hand; Polizeichefs und Carabinieri-Oberste aus Sizilien rücken zum Rapport in ihre obersten Dienststellen ein, Regionalminister defilieren in den zuständigen römischen Ämtern vorbei, ein Gipfelgespräch der Vorsitzenden der fünf Regierungsparteien soll am Donnerstag vorrangig das Mafia-Problem behandeln. Das politische und administrative Erdbeben, das seit einer Woche Sizilien erschüttert, verlagert sich zunehmend dorthin, wohin es sich viele Italiener auch wünschen: in die Büros der politischen Entscheidungsträger. „Die Sensibilität gegenüber der Mafia“, sagt der linksunabhängige Abgeordnete und stellvertretende Bürgermeister von Palermo, Aldo Rizzo, „war im römischen Machtapparat nie besonders groß. Was die sich aber derzeit leisten, übersteigt so ziemlich alles bisher dagewesene.“ Rizzo weiß, wovon er spricht. Er war vor seiner Wahl zum Abgeordneten selbst Untersuchungsrichter in Palermo und ist Sekretär der Antimafia-Kommission: „Es fehlen, trotz eines Jahrzehnts öffentlicher Aufmerksamkeit, hinreichende Strukturen zur Mafia-Bekämpfung, wir haben zu wenig Leute, ständig werden qualifizierte Mitarbeiter abgezogen, oft fehlen elementare technische Hilfsmittel.“

Der Chef der Mordkommission in Palermo, Antonino Necchi, hat deswegen am Montag abend um Versetzung gebeten. Der 43jährige Nicchi gehörte zu den Besonnenen im Gewerbe. Er war kein Draufgänger, der seine Erfolge an der Zahl der Verhafteten maß - was ihm in der Presse den Ruf allzugroßer Vorsicht einbrachte: „Wir schwächen die Mafia nicht, wenn wir in blindem Aktionismus Hunderte einsperren und diese dann vom Richter wegen zu dürftiger Beweislage wieder freigelassen werden - im Gegenteil, das stärkt ihren Ruf als unüberwindliche Macht.“ So schuldigte er lieber mal einen weniger an, lieferte aber bei seinen Festnahmen hieb- und stichfeste Beweise mit und verfrachtete auf diese Weise am Ende ganze Clans aburteilungsreif in die Gefängnisse.

Wieder ein Erfolg für die Mafia - auch wenn der Nachfolger des Kommissars ein gewiefter Fuchs aus Venedig ist, der seine Verdienste bei der Bekämpfung des sardischen Banditismus erworben hat: „Jeder, der hierherkommt“, sagte einmal der ermordete Vorgänger Nicchis, Ninni Cassara, „braucht ein Jahr, um sich in die palermitanischen Besonderheiten einzuarbeiten und das Vertrauen der integren Mitarbeiter zu gewinnen“ - will heißen, daß ein Jahr lang die Arbeit der Kommission faktisch lahmliegt. Die Mafia weiß das und hat in der Vergangenheit regelmäßig die Chefs der Mordkommission umgebracht; aber wenn einer freiwillig und im Streit weggeht, kann ihr das wohl auch recht sein. Mehr als 100 Morde seit Jahresbeginn und die Verdoppelung der Rauschgift- und Waffenhandelsgeschäfte zeugen davon, daß die Angst der „Ehrenwerten Herren“ vor Polizei und Justiz längst wieder verschwunden ist.

Dreh- und Angelpunkt künftiger Mafia-Bekämpfung ist für die italienische Öffentlichkeit daher die Frage, ob es dem Obersten Richterrat gelingen wird, den um Versetzung eingekommenen berühmtesten Mafia-Fahnder Giovanni Falcone zum Umdenken zu bewegen. Größere Vollmachten, so verlautet aus dem Richterrat, könne Falcone schon bekommen - doch der hütet sich, hier schnell zuzugreifen. Mit gutem Grund: Auch dem General Carlo Alberto dalla Chiesa hatte man bei seiner Übernahme des Präfektenamtes im Mai 1982 nach einer beispiellosen Mordserie neue Zuständigkeiten, Leute und Mittel versprochen. Doch drei Monate später, hatte er noch nichts von der Verstärkung gesehen und mußte bei einem Blitzbesuch in Rom den Innenminister an die desolate Lage erinnern.

Falcone weiß zudem, daß ihm der Oberste Richterrat, der für seine Versetzung zuständig ist, im Grunde gar nicht viel versprechen kann; und dies umso weniger, als offenbar der erst vor einem halben Jahr gegen Falcones Kandidatur inthronisierte 68jährige Oberste Ermittlungsrichter Palermos, Meli, weiterhin als Bremser aller Mafia-Prozesse fungieren wird (derzeit schmoren nahezu alle wichtigen politischen Verfahren in seinem Büro, und selbst die Anklageschrift gegen den ehemaligen christdemokratischen Bürgermeister Vito Ciancimino, suchte Meli Falcone bereits zu entwinden).

Doch Falcone weiß auch, daß ihm der „Palazzo“, das Machtkartell, sein Vorpreschen und seinen spektakulären Schritt des Versetzungsgesuchs niemals verzeihen wird. In dem in vieler Hinsicht ähnlichen Fall des Präfekten dalla Chiesa hatten die Machtträger in Rom nach einem Alarm schlagenden Interview des Generals ebenfalls wieder mal die Einlösung ihrer Versprechen gelobt. Doch einen Tag nach seinem Blitzbesuch in Rom wurde der General ermordet.

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