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Der Bulldozer verschob die Probleme

■ Die Sanierung der Potsdamer Straße nähert sich dem Ende - ein Fazit von Beteiligten

Die Sanierung in und um die Potsdamer Straße in Schöneberg ist nach 25 Jahren fast abgeschlossen. Lange war sie heiß umstritten: Sozialsanierung, Vertreibung der Prostituierten, „underdogs“, Hausbesetzer und andere Kiezbewohner und die „Aufwertung“ des Gebiets zum Schicki-Micki-Viertel in attraktiver, aber teurer City-Randlage befürchten die einen, hofften die anderen. Das feine Bürgerviertel des alten Berliner Westens war mit dem Krieg dahin. Der Mauerbau schnitt 1961 die Besucher aus dem Osten ab, die Amüsiermeile begann 1973 mit dem Abriß des Sportpalastes zu verschwinden. Die jahrelange darauf folgende Kahlschlagsanierung vor allem der Innenhöfe wurde während und durch die Hausbesetzungen gestoppt. Heute hat die Gegend ein neues Gesicht. Sie wird 1990, so schätzt es der Bausenator, „aus der Sanierung entlassen“. Ein paar Jahre länger werde man noch für die Häuser südlich der Goebentraße brauchen. Ein Fazit kann man jetzt schon ziehen.

Szene verdrängt

Matthias Graichen, Polizeiinspektionsleiter für Berlin Süd -West:

„Schwerpunktpräsenz der Polizei auf der Potsdamer Straße gibt es heute nicht mehr, wozu auch. Die Drogenszene ist aus der Potsdamer Straße raus, die ist aber nicht kleiner geworden. Die ist jetzt am Nollendorfplatz und den umliegenden Straßen. Es wird auch sehr viel in Wohnungen gehandelt und nur kleine Mengen auf der Straße. Heroin wird nur noch in Szeneportionen auf der Straße beschlagnahmt. 1987 hatten wir 405 Festnahmen, davon 29 wegen BTM-Handel, und 85 Haftbefehle.

Die Leute, die wir festnehmen, gleiten oft wieder ab. Die Polizei kann die Szene nur verdrängen, die Jugendämter und der Gesundheitssenator müßten da was machen.

Die Szene wechselt oft den Standort, je nachdem, wo die Polizei präsent ist. Nur am Nolli ist sie immer, vielleicht, weil der Straßenstrich da ist. In der Potse und der Bülow gibt es heute hauptsächlich Autostrich, aber das ist ja nicht strafbar, und von Folgekriminalität, Betrug oder Beischlafdiebstahl hören wir kaum etwas, das wird aber auch nicht gerne angezeigt. Von den kleinen Bordellen sind noch vier oder fünf übrig.

Die Kriminalität aus den besetzten Häusern, Strom- und Gasdiebstahl, Plünderungen, Haus- und Landfriedensbruch, das ist ja vorbei, das ist auch losgelöst zu sehen von der übrigen Situation auf der Potse. Die Häuser sind jetzt ruhig, die in der Potsdamer und der Bülow, auch die Mansteinstraße, in die welche aus der Bülow 55 hingezogen sind, die sind ganz brav.“ Nach Britz verzogen

Rüdiger Jakesch (CDU), Schöneberger Bürgermeister und ehemaliger Polizist:

„Die Prostituierten sind jetzt weg, aber nicht wegen der Sanierung, das ging schon früher los, als der Sportpalast abgerissen wurde. So Delikte wie Beischlafdiebstahl und Körperverletzung sind seltener geworden, heute haben wir Ladendiebstahl und Telefonsex, aber nicht nur auf der Potse. Unser Polizeirevier am Sportpalast über dem Cafe Madrid gibt's heute auch nicht mehr. Die deutsche Normalbevölkerung ist ja nach Britz, Buckow/Rudow, das hat schon viel verändert.“ Beachtlicher Erfolg

Uwe Saager (SPD), Schöneberger Baustadtrat:

„Die bauliche Erfolgsbilanz ist ja ganz beachtlich, das Problem ist die Verdrängung der alten Mieter. Die Ausländer waren ja immer die Bugwelle der Sanierung. Da gab es mal eine 20-Prozent-Quote des Bezirksamtes, die war aber nicht praktikabel, die ist vom Tisch.

Durch die Gebäudesanierung hat man den Prostituierten indirekt die Arbeitsplätze weggenommen, zum Beispiel durch den Neubau Ecke Winterfeldtstraße. Die Prostitution war aber schon vorher rückläufig, weil es profitabler war, an Asylanten zu vermieten. Nicht die Sanierung hat die Prostituierten vertrieben, sondern hier ist Sanierungsgebiet geworden, weil die Prostitution kein florierender Wirtschaftssektor war.“ Nicht ordentlich geworden

Frau U., 74 Jahre, Mieterin in der Forbenstraße:

„So schön wie das alte Berlin mit den vielen kleinen Cafes und den schönen Stuckfassaden wird das ohnehin nie wieder. Überall ist der Stuck abgeklopft worden, deshalb sieht das so häßlich aus. Was im Krieg angebombt wurde, ist abgerissen worden, und wenn dazwischen noch ein Haus stand, hat man das auch abgerissen, wie die schönen Gartenhäuser bei uns im Hof. Da haben sie gesagt, das steht zu eng, und jetzt bauen sie da wieder neue Häuser rein, genauso eng, und die hohen Kastanien und Linden im Hof haben sie dafür gefällt.

Die Spielhallen hier sind furchtbar, das waren früher schöne Geschäfte. Wo jetzt Kaisers Drugstore ist, da waren vorher Mädchen drin. Wo die geblieben sind, weiß ich auch nicht. In der Steinmetzstraße sind jetzt viele, das hat sich irgendwie verschoben. Die Transvestiten sind auch nicht mehr da, seit wir die Fußgängerzone haben. Aber die Potsdamer Straße ist nicht ordentlich geworden. Dorgenabhängige gibt es noch, die sieht man nur nicht mehr.

In bin in der Kulmer Straße aufgewachsen, in dem Haus leben jetzt lauter Ausländer. Seit '63 wohne ich hier, zwei Zimmer mit Zentralheizung für 400 Mark.“ Punks sind verstreut

C., ehemalige Bewohnerin der geräumten Bülowstraße 55:

„Die Punks aus der Bülow sind heute völlig verstreut, die haben auch keinen Kontakt mehr zueinander. Die meisten leben in 36, ein paar in der Manstein. Nach der Räumung sind ja welche in die Bülow 54 gezogen, vor allem die Studies, mit denen hatten wir aber nix zu tun. Einer ist gestorben in der Etage in der Crelle, wo wir dann waren.“ Weggang trotz Licht,

Luft, Sonne

Günter Geiseler, seit 1981 Leiter des Sanierungsbüros der Neuen Heimat:

„Hier sind große Höfe mit Grünanlagen geschaffen worden, das war ja auch ein Ziel der Sanierung: Licht, Luft, Sonne. Aber heute würde man vieles stehenlassen, die Bülowstraße 55 zum Beispiel. Die Bülow 55 zu räumen, das war ja damals eine politische Entscheidung, da ist lange gezögert worden. Sonst haben wir viele Häuser legalisiert. Wir waren jetzt zur Bauabnahme in der Potsdamer 130a, das ist schon toll, was die da gebaut haben, da werden wir den Vertrag wohl verlängern.

Es sind Leute aus dem Gebiet weggezogen, weil der Bezirk an Qualität verloren hat, aber nicht durch die Sanierung. Wir vermieten nicht an die „besondere Vergnügungsindustrie“, an Spielhallen oder Bordelle. Auch an das Sex-Kaufhaus hätten wir nicht vermietet. Wir versuchen, das Kleingewerbe, das durch die Sanierung vertrieben worden ist, wieder anzusiedeln, und zumindest auf der Potsdamer ist uns dies auch geglückt. Da sind jetzt Friseure und Boutiquen, wo vorher Stundenhotels und Nachtbars waren. Auch mit Betrieben wie 'Tip‘, Radio 100 und den Galerien wollen wir die Straße bereichern.“ Immer noch mobilisierbar

Paul, Hausbesetzer aus der Potsdamer 130a:

„Hier war noch nie Kiez, sondern Deutsche Bank, Wegert, Finanzamt, viel Neubau, kein gewachsener Zusammenhang. Aber hier ist es nicht wie am Winterfeldtplatz, den haben sie ja wirklich niedergemacht, das ist die totale biedere Angestelltenkultur. Schuh- und Klamottenläden, diese hochgestylte leere Wüste. Die wird sich hier nie durchsetzen, dazu ist die Gegend einfach zu teuer. Hier sind prächtige hohe Häuser, da kann man auch prächtige hohe Mieten nehmen. Da siedelt sich jetzt eine neue linke Szene an, Medienstraße, wie die Fleet Street in London - Radio 100, Rotbuch, Medienoperative, 'Tip‘, 'Zweite Hand‘, Galerien, Buchhandlungen. Hier gibt es immer noch viel Existenzkampf auf der Straße, nicht mehr so oberflächlich wie früher, aber die H-Szene ist immer noch da. Mit den Baulücken und den leeren Häusern wurden auch die Arbeitsplätze der Frauen vernichtet, aber ganz weg kriegen sie die nicht.

Das Konzept der sozialen Sanierung wird, glaub‘ ich, schon aufgehen, das ist ein schleichendes Gift. Das Geld spielt jetzt eine größere Rolle als vorher. Auch das Wohnen wird teurer. Wir mußten zum Beispiel Verträge machen mit einem irrsinnig hohem Standard, Blockheizkraftwerk, und zahlen bald 1.800 Mark für eine Sechszimmer-Wohnung. Die Strukturen in der Szene sind minimal, aber zäh. Wenn was passiert, ist der Kiez immer noch mobilisierbar.“ Tiefbauamtsgrün

Gerhard Eichmann, Mietervertreter im Laden „Nollzie“:

„Hier ist alles steril. Hier waren früher 70 Läden, jetzt noch drei Kneipen, davor das übliche Tiefbauamtsgrün. Die Läden sind regelrecht weggeplant worden, die Türen wurden zu Wohnungsfenstern hochgemauert. Die Drogensüchtigen sind von der Potse weg, dafür sind die Fußgängerzonen die reinsten Fixer- und Alkoholikergalerien. Die alten Leute sind weg, die Fluktuation in den Häusern ist groß, neulich gab's auch eine Zwangsräumung. Wir haben hohen Standard, zum Beispiel Tiefgaragen, die kaum benutzt werden, und hatten Sozialmieten, haben aber gegen die Neue Heimat auf Altbaumieten prozessiert und gewonnen.“

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