: Schweinerei im Kälberstall
■ 14.000 Kälber wurden in Nordrhein-Westfalen wegen verbotener Hormonbehandlung beschlagnahmt
Der Östrogenskandal war ausgestanden, der Kalbfleischpreis hatte sich erholt, Landwirtschaftsminister Bäumer konnte aufatmen: „Nordrhein-Westfalen ist östrogenfrei.“ Sieben Jahre später hat es das größte Bundesland wieder erwischt. NRW-Umweltminister Matthiesen geht sofort in die Offensive: Kaum hat am Montag ein Oberstaatsanwalt 14.000 Kälber an der niederländischen Grenze beschlagnahmen lassen, posaunt der Sozialdemokrat: „Der größte Hormonskandal der Bundesrepublik.“
„Kalbsbraten im Sonderangebot“, grell-gelb prangt das Plakat am Eingang des großen Einkaufsmarkts Südlohn-Oedings. „Was sich das große Geschäft traut, das würden wir unseren Kunden nie zumuten“, lacht die Metzgersfrau des Ortes, und sie ergänzt: „Außerdem geht Kalbfleisch bei uns seit dem Östrogenskandal schon seit Jahren nicht mehr gut, wir führen das ganz selten.“ In der kleinen Gemeinde direkt an der niederländischen Grenze mag heute ganz sicher niemand Kalbfleisch kaufen. Eine Oedinger Hausfrau: „Obwohl wir hier alle wissen, daß der Kälbermäster unseren Ort gar nicht beliefert, sondern die Großschlachterei in Bocholt, und von da Hannover und Duisburg - keiner will Kalbfleisch. Erst muß man da noch genaueres wissen, wo das Fleisch von hieraus hinkommt.“
Die Leute im Kreis Borken sind gut informiert. Was höheren Orts - in der Kreisbehörde und im nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerium - noch keiner genau sagen will, die OedingerInnen erzählen es bereitwillig. „Um den Felix Hying geht's“, ist dort zu erfahren. Er ist „der große Kälbermäster“, der eine Lohnmastkälberei betreibt und mit 49 landwirtschaftlichen Betrieben in Vertrag steht. „Mit Hormonen hat er die Tiere verseucht“, sagt die Kioskbesitzerin, die ihr Geschäft in der Nachbarschaft des Unternehmers hat.
Angefangen hatte es im Juli im Schlachthof Bocholt. Die Schlachter und Tierärzte mußten schon zweimal hinsehen, doch es gab keinen Zweifel. Mehrere von ihnen geschlachtete Kälber wiesen deutliche Einstichstellen auf. In seltenen Fällen deuten solche Einstiche auf tierärztliche Behandlungen hin. In der Regel sind sie der Beweis für die verbotene Spritzung von Wachstumshormonen, für die illegale, aber sehr effiziente Mästung der Kälber mit „Apfelsaft“, wie die Hormongaben gelegentlich wegen ihrer gelben Farbe in einschlägigen Kreisen genannt werden.
Die Entdeckung der Einstiche im Bocholter Schlachthof im vergangenen Monat hat am Montag den nach Auskunft von NRW -Umweltminister Klaus Matthiesen „bisher größten Hormonskandal der Bundesrepublik“ ausgelöst. 14.000 Kälber wurden beschlagnahmt und „unter Arrest“ gestellt, 49 Bestände in den Landkreisen Borken und Steinfurt sind betroffen.
Im Mittelpunkt der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Münster steht der Betrieb des Kälbermästers, Viehhändlers und Futtermittel-Lieferanten Felix Hying in Südlohn-Oeding im Kreis Borken. Alle beschlagnahmten Kälber stammen entweder aus seinen Stallungen oder aus Betrieben, die mit Hying zusammenarbeiten. Dies sind vor allem sogenannte Lohnmästereien, die in Hyings Auftrag die Tiere mästen.
Die Meldung des Bocholter Schlachthofs hatte eine „blitzartige Überprüfungsaktion“ ausgelöst (Minister Matthiesen). Tiere aus unterschiedlichen Beständen wurden zur Schlachtbank geführt, um sie zu untersuchen. Denn bei lebenden Tieren sind die Einstiche nicht festzustellen. Mehrere wissenschaftliche Institute in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen fahnden derzeit „rund um die Uhr“ mit aufwendiger Analysetechnik nach den Hormonresten im Kalbfleisch. Erste Ergebnisse mit positivem Befund liegen schon vor. So ist nach Angaben von Matthiesen „bei einer ganzen Reihe von Kälbern verbotenerweise Masthilfsmittel auf Hormonbasis angewandt worden, im einzelnen handelt es sich um eine Mischung von Östradiol und Testosteron-Cypionat“. Beide Substanzen sind bekannte Mittel auf der Schwarzen Liste der verbotenen Hormone.
Nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Deupmann wiesen nach der bisherigen Bilanz von etwa 350 geschlachteten und untersuchten Kälbern rund 100 Tiere Einstichstellen auf. Es wurde also nicht durchgängig gespritzt, aber offenbar bei einem großen Teil der Tiere. Unklar ist auch, wer die Hormone injizierte und über welchen Zeitraum. Oberstaatsanwalt Deupmann: „Dutzende von Personen kommen in Betracht.“
Wenn die weiteren Ermittlungen den bisherigen Verdacht bestätigen, sollen Hying und seine Handlanger wegen Betruges und Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz angeklagt werden. Höchststrafe: fünf Jahre Knast. „Eine Schweinerei ist das“, sagt ein Bauer an der niederländischen Grenze. „So kommen wir Bauern alle mit in Verruf, wenn einer sowas macht“, befürchtet er. Ein anderer Landwirt: „Das ist ja nicht nur der Hying, also ein schwarzes Schaf, da hängen ja noch zig andere mit dran.“ Er meint die Kollegen, die gegen eine Festgebühr Hyings Tiere in ihren landwirtschaftlichen Betrieben halten. Noch ist nicht bekannt, ob die Lohnmastbauern über die Aufzuchtmethode ihres Auftraggebers informiert waren. Die Bauern im Kreis Borken sind darüber geteilter Meinung. „Wenn das Vieh mit den Hormonen gespritzt worden ist, müßten die Kollegen das eigentlich an der Haut der Tiere gesehen haben“, mutmaßt einer. „Es ist aber auch ebenso gut möglich, daß die von nix gewußt haben, wenn das Zeug im Futter war“, meint ein anderer Bauer. Die Futtermittel erhalten die einzelnen Mastbetriebe auch von der Hying GmbH und Co KG.
Die Lohnmastbauern selbst geben sich zurückhaltend. „Fragen Sie nicht uns, fragen Sie den Hying, was hier los ist“, heißt es auf einem kleinen Gehöft. „Meist sind das ja kleine Bauern, die für Hying arbeiten, weil sie sonst nur miese Erträge haben“, zeigt ein selbständiger Landwirt Verständnis. Der Unternehmer selbst ist nicht erreichbar. Ein Arbeiter, der bei Hying Kälber und Futtermittel transportiert: „Wir wissen da alle nichts von. Und ich glaube nicht, daß unser Chef was zu verbergen hat.“ Die Loyalität im Hause Hying ist unerschütterlich. „Auch von den Tierärzten hier im Umkreis ist nichts zu erfahren“, sagt eine Oedingerin, „aber die stecken bestimmt mit drin. Das stand ja in der Zeitung.“ Die 'Ruhr-Nachrichten‘ hatten diese Vermutung geäußert, da nur Mediziner Zugang zu den Hormonmedikamenten haben. Die Gerüchteküche in Südlohn -Oeding brodelt - und sie scheint die Tatsachen ganz gut zu treffen.
Anne Weber/Manfred Kriener
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