: US-Angehörige im Visier
■ Interview mit Sonny und Marty, Sprecher der philippinischen NPA-Stadtpartisaneneinheit „Alex Boncayao Brigade“ (ABB) Das Gespräch führte Gebhard Koerte
taz: Sind die Attentate der ABB zur Erreichung eurer politischen Ziele wirklich notwendig, oder wäre es erfolgversprechender, mit dem langsamen Tempo der politischen Bewußtseinsbildung der Bevölkerung Schritt zu halten?
Marty: Die US-Imperialisten haben ein diktatorisches Regime an der Macht gehalten, solange es nützlich war. Jetzt unterstützen sie eine sogenannte Regierung der Mitte mit liberaler Fassade. Dahinter steckt eine neue Strategie zur Zerschlagung der Aufstandsbewegung. Während die Regierung als Garant von Stabilität, Ruhe und Ordnung dargestellt wird, werden in den Provinzen Großoffensiven gegen die revolutionäre Bewegung gestartet. Gegen diese neue US -Strategie mußten wir uns etwas einfallen lassen. Städtischer Guerillakampf kann der Bevölkerung zeigen, daß die faschistischen Strukturen fortbestehen.
Sonny: Da Cory selber einen totalen Krieg gegen die Landbevölkerung und die gesamte revolutionäre Bewegung erklärt hat, ist es angemessen, den Krieg an ihre Türschwelle zu tragen. Sie soll hautnah erleben, welche Auswirkungen ihre Politik hat.
Trifft die Einschätzung des Militärs zu, daß die Anzahl der in Manila stationierten sogenannten „kommunistischen Killer“ kontinuierlich zunimmt?
Sonny: Die Behauptung, daß NPA-Kämpfer aus den Provinzen importiert werden, wird auch durch ständige Wiederholung nicht glaubwüriger. Völlig richtig ist jedoch, daß die ABB allein im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent gewachsen ist. Die Mehrheit stammt aus der Arbeiterklasse und den städtischen Armenvierteln, etwa zehn Prozent sind Studenten.
Ihr rechtfertigt die Anschläge öffentlich mit einer Blutschuld der Opfer. Welche Verbrechen führen zum Todesurteil? Wie „objektiv“ können Entscheidungen ohne ein ordentliches Verfahren sein?
Sonny: Alle revolutionären Bestrafungen, denen, besonders bei extremen Urteilen, eine sorgfältige und langwierige Untersuchung vorausgeht, werden vom „Regionalen Operationskommando“ entschieden. Eine Blutschuld gegenüber der Bevölkerung oder der revolutionären Bewegung haben z.B. Polizisten und Soldaten, die sich aktiv an der Aufstandsbewegung beteiligen, Aktivisten gefoltert und ermordet haben. Bei anderen Vergehen wird der Grad krimineller Aktivität durch Sozial- und Hintergrunduntersuchungen bestimmt. Alle Personen, deren Vergehen nicht allzu schwerwiegend sind, werden über Freunde und Verwandte oder durch persönliche Briefe aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern. Nur bei denen, die unbeeindruckt ihre kriminellen Machenschaften fortsetzen, bleibt uns schließlich keine andere Wahl mehr als ein Todesurteil.
Werden auch Polizisten und Soldaten vorgewarnt?
Sonny: Wir trennen streng zwischen Polizisten, die wir als zivile Ziele betrachten, und Offizieren der Streitkräfte, die als Teil der regulären Feindverbände keine Hinweise erhalten.
Die ABB hat zugesagt, ihre Reaktionen auf das Aufstandsbekämpfungsprogramm in der Hauptstadt zu humanisieren. Was bedeutet diese Ankündigung? Ist sie das Eingeständnis einer falschen Taktik?
Sonny: Die generelle Richtung ist korrekt. Nur konzentrieren wir uns jetzt mehr auf höherrangige Offiziere, weil sie normalerweise vehemente Verfechter des „Low -intensity-conflict„-Programms sind und aus dieser Politik den größten Nutzen zur Absicherung ihrer kriminellen Geschäftsinteressen ziehen. Für untere Polizeidienstgrade haben wir eine Amnestie bekanntgegeben. Viele sind zwar korrupt, aber das liegt vor allem an ihren geringen Gehältern.
Marty: Nach unserer Einschätzung begrüßen die Basissektoren unsere Operationen, während die Mittelschicht, die für die antikommmuistische Hysteriekampagne sehr empfänglich ist, sie ablehnt.
In der Millionenstadt Davao City, wo Stadtpartisanen in den vergangenen Jahren Dutzende von Attentaten ausgeführt haben, sind große Teile einer Massenbasis zu den neu entstandenen rechten Bürgerwehren gewechselt. Hatten die Menschen auch die zahllosen Folterungen und Liquidierungen satt, mit denen eure Kameraden versucht haben, zum Teil auf Kosten Unschuldiger, die Ränge von eingedrungenen Agenten zu säubern? War die Übernahme des erfolgreichen Bürgerwehrmodells in Manila nicht vorhersehbar?
Sonny: Wir haben die Aufstellung von Bürgerwehren erwartet. Manche meinen auch, daß wir sogar durch unsere Anschläge die Rechtfertigung geliefert haben. Nach unserer Überzeugung haben sie nur den richtigen Moment abgewartet, um in dem Rahmen der LIC-Doktrin Bürger gegen Bürger aufzustellen. Das Anwachsen der städtischen Guerillabasen und die zunehmende Zahl von Rekruten zeigt, daß die Reaktion der Massen (basic masses Unterschicht?) auf unsere Gewaltanwendung im allgemeinen positiv ist.
Marty: Persönlich bin ich auch davon überzeugt, daß sich in dieser Haltung die Einstellung der Menschen zu den Streitkräften manifestiert. Diese sind in der Bevölkerung absolut nicht verwurzelt und finanzieren daher Bürgerwehren zur Aufstandsbekämpfung.
Sonny: Noch wichtiger als dieser Aspekt ist nach unserer Einschätzung die Gesamtstimmung der Menschen. Sie sind tief enttäuscht über die offenkundige Unfähigkeit der Regierung, die versprochenen Reformen auszuführen und einen wirtschaftlichen Gesundungsprozeß in Gang zu bringen.
Ist es nicht eine falsche und gefährliche Taktik, sogenannte Feinde der Massen zu töten, bevor starke Volksorganisationen entstanden sind, die ihre Forderungen überwiegend ohne Gewaltanwendung durchsetzen können? Operiert ihr in einem „ideologischen und politischen Vakuum“, wie der bekannte Politologe Nemenzo meint?
Sonny: Es gibt kein Vakuum, weil wir von Anfang an großen Wert auf Organisationsarbeit gelegt haben. Hunderte von Volksorganisationen sind in Manila offen und legal tätig. Allein können sie sich nicht behaupten, weil sie der Repression kaum etwas entgegenzusetzen haben. Selbst die längst überfällige Formulierung bewaffneter Einheiten und militärische Aktionen können bislang noch nicht verhindern, daß legale Gruppen untertauchen müssen.
Die meisten legalen Organisationen in den Städten fühlen sich seit der Ermordung des früheren Studentenführers Lean Alejandro, der nie an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen hatte, bedroht. Ihre Aktionsmöglichkeiten sind dadurch weitgehend lahmgelegt. Sie werden fortwährend von der Polizei belästigt und vom Militär als kommunistische Frontorganisationen eingestuft.
Marty: Die staatliche Menschenrechtskommission hat nicht nur kein Durchsetzungsvermögen, sondern fungiert darüber hinaus mehr und mehr als Propagandainstrument, das die revolutionäre Bewegung wahlloser Gewaltanwendung und der Verletzung von Menschenrechten bezichtigt. Unzählige Fälle von Verbrechen der Sicherheitskräfte, obwohl genau dokumentiert von unabhängigen Gruppen, verstauben dagegen in den Aktenschränken.
Frühere Mitglieder der Kommission, die nach dem Mendiola -Massaker (an demonstrierenden Bauern im Januar 1987) zurückgetreten sind, haben die „National Democratic Front“ (Untergrunddachverband) öffentlich zu Vereinbarungen mit der Regierung gedrängt, um das Blutvergießen zumindest zu verringern. Wie bewertet ihr diesen Aufruf?
Sonny: Wir erkennen ihre Aufrichtigkeit und ihre guten Absichten an. Ihrem Vorschlag, sich z.B. an das Protokoll II der Genfer Konvention zu halten, stimmen wir uneingeschränkt zu. Ich bezweifle jedoch, ob die Regierung zu einem entsprechenden Abkommen bereit ist und es in Kraft setzt, weil die Fülle von Verstößen wie inhumane Gefangenenbehandlung, Tötung von Zivilisten und heimliche Exekutionen gegen sie vorgebracht werden könnten.
Denkt ihr, daß die Präsidentin persönlich eine ernsthafte und glaubwürdige Menschenrechtsverfechterin ist, ihre Politik jedoch aufgrund von internem und externem Druck korrigieren mußte?
Marty: Bis vor einiger Zeit haben wir angenommen, daß sie sich Einflüssen beugte, die in mehreren Putschversuchen ihren Höhepunkt erreichten. Eine tiefere Analyse zeigt jedoch, daß sie eine Marionette der US-Regierung ist, die bereitwillig frühere Positionen preisgibt.
Sonny: Viele Kameraden in der Bewegung haben lange die Ansicht vertreten, daß nach der Volkserhebung im Februar 1986 eine friedliche Beilegung des Konflikts möglich sei. Seit dem Mendiola-Massaker und der Serie von Morden an unseren Leuten wie auch an Persönlichkeiten aus der legalen Szene haben wir diese Illusion aufgegeben. Solange eine derartige Regierung im Amt ist, kann es keine Übereinkunft geben. Bei allen wichtigen Entscheiungen hat sie sich auf die Seite der Großgrundbesitzer, Amerikaner, bewaffneter Politclans (political warlords) und sogar der vormaligen Marcos-Günstlinge geschlagen. Nach unserer Auffassung beteiligt sich Cory aktiv an der von den USA geförderten Aufstandbekämpfung auf der Graswurzelebene, die sich gegen das philippinische Volk richtet.
Ist die Politik, mit progressiven und moderaten politischen Kräften Koalitionen zu entwickeln, auch wie vor gültig oder ist durch die Ereignisse nach Corazon Aquinos Amtsantritt eine Kluft entstanden, die nicht mehr zu überbrükken ist?
Marty: Die revolutionäre Bewegung ist immer offen für einen demokratischen Verständigungsprozeß, sei er unabhängig, individuell oder organisiert. Das gilt auch für politische Organisationen, die sich mit uns zusamenschließen wollen, um das US-Aquino-Regime abzusetzen und eine Koalitionsregierung zu bilden.
Würde die NDF eine dominierende Rolle fordern?
Sonny: Wir erkennen an, daß die revolutionäre Bewegung gegenwärtig nicht die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht. Ein großer Teil ist noch nicht erreicht und organisiert worden. Daher wäre eine Koalition die einzig lebensfähige Regierungskonstruktion. Es kann also nicht um Dominanz gehen, sondern die Frage ist, ob Übereinkünfte erzielt werden können, die die Interessen der Menschen repräsentieren.
Befindet sich in der herrschenden Regierungskoalition eine Partei, die als möglicher Partner in Frage kommt?
Sonny: Einige Parteivorsitzende und führende Funktionäre sind politisch wie persönlich kaum akzeptabel. Entscheidender ist jedoch, wie sich die Revolution entwickelt und ob sich fundamentale Fragen klären lassen. Problematisch, aber von besonderer politischer Bedeutung ist die Haltung von Personen, Parteien und Organisationen zu den Basen und dem politisch-ökonomischen Einfluß der USA. Die Koalitionsfrage würde im wesentlichen durch befriedigende Verhandlungsergebnisse in diesen Bereichen bestimmt.
Einige Anzeichen deuten darauf hin, daß die Regierung den Fortbestand der US-Basen über 1991 hinaus akzeptieren wird, wenn die Ausgleichszahlungen erhöht werden. Wie werdet ihr euch verhalten, wenn ein neuer Vertragsabschluß absehbar ist?
Sonny: Das würde erneut ein ganz konkretes Thema liefern, mit dem das Volk sich mobilisieren ließe. Die Regierung unterschätzt noch immer das Ausmaß der Ernüchterung über die Anwesenheit der Stützpunkte. Amerikanische Offizielle, die in der Aufstandsbekämpfung mitarbeiten, sind seit dem vergangenen Sommer ein stehendes Ziel. Mit dem Anschlag auf US-Sodaten im Herbst haben wir bereits signalisiert, daß die Militärpräsenz der Vereinigten Staaten von uns unter keinen Umständen akzeptiert werden wird. Wir werden sowohl eine intensive potitische wie auch militärische Kampagne dagegen führen. Im Moment sind keine konkreten Aktionen geplant. Das wird sich aber ändern, wenn die Regierungsverhandlungen einen hohen Grad öffentlicher Aufmerksamkeit erreicht haben.
Ist in der Bewegung niemand über eine direkte Intervention besorgt?
Sonny: Die US-Regierung weiß genau, daß eine unmittelbare Einmischung in den internen Konflikt der Beginn ihrer Niederlage wäre. Außerdem können sie sich die Entsendung von Bodentruppen nicht leisten, weil die politischen Kosten viel zu hoch wären.
Die Ermordung einzelner US-Bürger kann die Amerikaner andererseits aber auch nicht zum Abzug veranlassen.
Sonny: Das wäre eine überzogene Hoffnung. Indirekt wird dadurch jedoch eine Diskussion in den Staaten ausgelöst. Die Bürger werden sich fragen: Was machen wir dort eigentlich?
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