: Sterbehilfe aus der Gesundheitsbewegung
Funktionärin der Westberliner „Fraktion Gesundheit“ ist gleichzeitig Vizepräsidentin der Sterbehilfe-Organisation „Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben“ /Nur vorsichtige Distanzierung vom Medienrummel des Sterbehilfe-Aktivisten Henning Atrott /Forderung nach Lebenshilfe statt Sterbehilfe ■ Von Oliver Tolmein
Das Thema Sterbehilfe hat in den letzten Monaten immer wieder Schlagzeilen gemacht und für heftige Kontroversen gesorgt. Zwischen prominenten Vorkämpfern für die Sterbehilfe wie Professor Julius Hackethal und Henning Atrott, dem Vorsitzenden der „Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben“ (DGHS) ist es zu regelrechten Medienschaukämpfen um einzelne Sterbewillige, wie zum Beispiel „Daniela“, gekommen. Aber auch im alternativen und linken Spektrum gab es heftige Kontroversen, die zuletzt auf dem Gesundheitstag 1987 in Kassel zum Eklat führten.
Die OrganisatorInnen hatten Hackethal als Referenten zum Thema Sterbehilfe geladen. Behinderteninitiativen riefen deswegen zum Boykott der Veranstaltungen auf. Jetzt steht der Gesundheitsbewegung ein neuer Konflikt ins Haus. Die kritische 'Zeitschrift im Gesundheitswesen Dr.med.Mabuse‘ hat publik gemacht, daß die Privat-dozentin Hannelore Burmeister, Mitglied der reformerischen „Fraktion Gesundheit“ in WestBerlin, Beisitzerin im Vorstand der dortigen Ärztekammer und Vorsitzende der „Akademie für ärztliche Fortbildung in der Ärztekammer“ gleichzeitig Vizepräsidentin der DGHS ist.
In einem „offenen Brief“ hat die Redaktion von 'Dr.med.Mabuse‘ Frau Dr.med.Burmeister aufgefordert, sich dazu öffentlich zu äußern, weil sie die „gleichzeitige Mitgliedschaft in der Fraktion Gesundheit und die Vizepräsidentschaft in der DGHS für unvereinbar (hält)“. Die DGHS, das wird in einem ausführlichen Artikel in der gleichen Mabuse-Nummer ausgeführt, bemüht sich, Sterbehilfe wieder gesellschaftsfähig zu machen, und bedient sich dabei Argumentationsweisen, die an die suggestive „Euthanasie„ -Propaganda des NS-Regimes erinnern: „Den heutigen Befürwortern einer neuen Sterbehilferegelung geht es wohl nicht um Euthanasie gegen den Wunsch der Betroffenen“, gesteht die Mabuse-Redaktion zwar zu, bemerkt aber auch: „Die Art der Diskussion ist allerdings genauso wie damals. Losgelöst vom sozialpolitischen Rahmen und unhistorisch wird wieder anhand dramatischer Einzelbeispiele versucht, Sterbehilfe gesellschaftsfähig zu machen.“
„Die Fragwürdigkeit angeblich selbstbestimmter Entscheidungen in einer Atmosphäre, die von Begriffen wie Kosteneinsparung und Alterslastquote geprägt ist, steht für die neuen Sterbehelfer nicht zur Debatte“, kritisiert die 'Dr.med.Mabuse‘ und meint damit auch Hanna Burmeister, die sich nicht einmal offen von den Praktiken ihres medienwirksam zyankalibeschaffenden Vorsitzenden Atrott distanziert hat: „Sie nehmen billigend in Kauf, daß eine Stimmung entsteht, in der von Kranken erwartet wird, sich 'vernünftigerweise‘ den Tod geben zu lassen.“
Noch steht die öffentliche Äußerung der harsch angegangen Dr.Burmeister zu der Kritik der Mabuse-Redaktion an ihrer Doppelfunktion aus. Ein Interview-Angebot mit der kritischen MedizinerInnen-Zeitung hat sie nicht wahrgenommen und auch das Angebot, eine Stellungnahme zu schreiben, bisher ausgeschlagen.
Auch die zu den kritischen Listen zählende „Fraktion Gesundheit“ selbst hat bisher öffentlich keine Position bezogen. Im Gespräch mit der taz meint der ebenfalls zur „Fraktion Gesundheit“ gehörende Westberliner Ärztekammerpräsident Ellis Huber, daß er aktuell die Doppelfunktion von Hannelore Burmeister nicht für unvereinbar halte. Die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“ habe schließlich fast 20.000 Mitglieder und sei damit eine der größten Organisationen im Gesundheitswesen, größer auch als die Gesundheitsläden. Es gehe nicht an, daß man deren Positionen einfach ausgrenze. Die Schwierigkeit in der Diskussion um Sterbehilfe sei die, angesichts der Geschichte aber auch aktueller Diskriminierung, berechtigte Angst Behinderter vor „Euthanasie„-Tendenzen. Sie dürfe nicht vermischt werden mit dem Wunsch von Menschen in hohem Lebensalter oder von unheilbar Kranken, ein Selbstbestimmungsrecht auch über die Art und Weise ihres Todes ausüben zu können. Das Selbstbestimmungsrecht erkämpfen zu wollen, reklamiert auch Hannelore Burmeister für sich. „Die DGHS verfolgt in allererster Linie das Ziel, daß sich die Öffentlichkeit mit Tod und Sterben auseinandersetzt. Und egal wie man zu ihren Positionen stehen mag - man muß anerkennen, daß sie das geschafft hat“, betont sie mehrfach.
Daß es in der Sterbehilfediskussion ein „egal wie man dazu steht“ gar nicht geben kann, will ihr nicht in den Kopf. Die von Behinderteninitiativen und Teilen der Gesundheitsbewegung vor allem kritisierte ideologische Komponente der Sterbehilfediskussion - deren eine Folge sein kann, daß schwer Erkrankten und Behinderten auch der Mut zum Leben genommen wird - wird von ihr nicht in die Argumentation einbezogen. Statt dessen betont sie, daß sie versuche, innerhalb der DGHS ärztlichen Sachverstand zur Geltung zu bringen: „Ich persönlich stehe diesen öffentlichen Kampagnen wie sie z.B. bei „Daniela“ geführt worden sind, angesichts der Intimität des Themas um das es geht, sehr reserviert gegenüber.“ Aber grundsätzlich müsse die Debatte um die Sterbehilfe auf jeden Fall öffentlich und in größerem Maßstab geführt werden, „um den Menschen die Angst zu nehmen, daß sie sinnlos bis zum letzten Atemzug am Leben gehalten werden“. Ihrem Präsidenten Atrott gegenüber, dessen spektakuläre Auftritte vor allem bewirkt haben, daß die DGHS heute so bekannt ist, hat Frau Burmeister ebenfalls „wie bei vielen Chefs“ Vorbehalte. In einem Punkt allerdings hat sie eine offen von ihrer Gesellschaft abweichende Meinung: sie hält eine Reform des Paragraphen 216StGB, um die passive Sterbehilfe zu legalisieren, nicht für erforderlich.
Ob daraus aber schon ersichtlich ist, daß Frau Burmeister, wie Ellis Huber meint, eine „Kontrollfunktion“ innerhalb der DGHS ausübt, scheint eher zweifelhaft. Eine Kontrolle, die keine Außenwirkung hat, ist gerade bei einem so stark in der öffentlichen Diskussion befindlichen, heiklen Thema wie der Sterbehilfe, wenig nützlich. Und die Außenwirkung der DGHS wird nach wie vor ausschließlich von ihrem Präsidenten Atrott bestimmt. Die renommierte „Deutsche Gesellschaft für soziale Psychatrie“ (DGSP) hat deswegen Anfang des Jahres Strafanzeige gegen die Gesellschaft erstattet und auch die Trierer Staatsanwaltschaft ermittelte nach dem letzten medienwirksamen Coup, einer Zyankali-Verabreichung, gegen den Sterbehilfepropagandisten: wegen unterlassener Hilfeleistung und Gründung einer kriminellen Vereinigung.
Die DGSP beläßt es aber nicht bei ihrer scharfen Kritik an der Sterbehilfe-Organisation. Sie versucht, eine andere Strategie auf den Weg zu bringen, um den Ängsten, die bei vielen die Zustimmung zu einer Sterbehilfepolitik wie sie von der neuen „Euthanasie„-Bewegung forciert wird, zu begegnen. Zum Leben motivieren, statt in krisenhaften Situationen Selbstmordwünsche zum letzten Willen werden lassen, fordert die DGSP: „Verhindern Sie die Tötung weiterer Menschen in Lebenskrisen. Schaffen Sie weitere Hilfen, die auch behindertes Leben als lebenswert sichern. Gehen Sie vor allem energisch gegen die DGHS und deren organisiertes Tötungsgeschäft vor.“
Behinderte aus der Behindertenbewegung griffen diesen Ansatz auf: als Atrott am 22.März 1988 auf der „REHA“ zum Thema „Aktive Sterbehilfe - Ende der Rehabilitation?“ in Karlsruhe reden sollte, sprengten sie zu den Klängen von „Spiel mir das Lied vom Tod“ die Veranstaltung und gaben sich erst zufrieden, als Atrott das Podium verlassen hatte.
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