: „Das Ding ist denen entglitten“
■ SEK-Kritik an Bremer Einsatzleitung / „Kein Verantwortlicher vor Ort“
Die Polizei hat sich im Interesse der Geiseln auf dem Rastplatz Grundbergsee zurückgehalten, die Verhaftung der Komplizin vor der Toilette sei nicht geplant gewesen - so war die Version der Polizei am Donnerstag. Sonder-Einheiten des SEK aus Weser-Ems berichteten per Autotelefon während dieser Phase der Geisel-Affäre laufend, wie es wirklich zu der Festnahme am Rastplatz kam.
„Menschentrauben“ umringen unmittelbar die Bankräuber, konnte der Vor-Ort-SEK'ler berichten, ca. 50 Journalisten „es ist haarsträubend“. Darin sehen die SEK-Leute aber eine Zugriffs-Chance: „Kannst Du dich nicht unter die Journalisten mischen und den abdrücken?“ fragt einer. „Zu gerne würde ich das tun.“ Andere SEK-Leute wollten sich sogar mit Kameras tarnen. Aber: „Die haben kein Fotogerät.“ Die Weser-Ems-Beamten verzweifelt: „Es sind Kräfte wie verrückt auf dem Platz, und keiner geht ran.“ Da sei „kein Veranwortlicher vor Ort“, beschweren sich die SEK -Beobachter. Kommentar des anderen: „Das Ding ist denen entglitten. Die Bremer sind froh, daß sie es raus haben aus dem Stadtgebiet.“
Die Sonder-Kommandos vor Ort fühlen sich alleingelassen. „Presse ist auf Armlänge dran. Zugriff möglich. Scheiße.“ Da kommt die Nachricht über Funk, daß die Komplizin der Bankräuber auf die Toilette gegangen sei. „Da muß doch jetzt der Zugriff erfolgen. Augenscheinlich scheint das niemand jetzt mehr in die Hand zu nehmen“, ärgert sich der Weser-Ems -SEK-Beamte über Auto-Telefon. „Es fühlt sich ja wohl keiner zuständig jetzt.“
Dann berichtet er die Konsequenz: „Die Kollegen, die unmittelbar dranstehen, beratschlagen gerade, ob im Notzugriff eine Festnahme der Frau durchgeführt werden soll.“ Sie fragen über Funk, wer kompetent sei, dies zu entscheiden. Das „Ja“ für den isolierten Zugriff kam, wie berichtet (taz 20.8.), vom Mobilen Einsatz-Kommando „7221“.
Einige Minuten später berichtet das Weser-Ems-SEK über die Festnahme: „Die sind so heiß und wollen die niedermachen.“ Reaktion per Funk: „Ist auch ihr Auftrag.“
Schnell war klar, daß eine isolierte Festnahme der Komplizin nicht aufrecht zu erhalten war, wenn die zwei Bankräuber bald nicht auch überwältigt würden. Per Funk kommt die Anweisung: „Wenn sich dann eine Gelegenheit ergibt, soll der Zugriff erfolgen.“ Der erfolgt nicht. Erst 19 Minuten nach der Festnahme der Komplizin meldet das SEK-Kommando, daß die Komplizin nun freigelassen und „in einigen Minuten eintreffen“ werde am gekaperten Bus. Zwei Minuten später berichtet der erste Journalist per Autotelefon seiner Redaktion, daß ein erschossener Mann aus dem Bus gezogen worden ist. K.W
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