: Für ein paar Mark jede Menge Einsamkeit
Auf der Insel Trischen, umgeben von den Wassern der Nordsee im Nationalpark Wattenmeer, lebt der Vogelwärter Peter Todt für täglich 12,50 Mark Lohn sieben Monate im Jahr allein unter Zehntausenden von Vögeln / Er prangert die Waffenversuche der Bundeswehr an, die die Tierwelt bedrohen ■ Aus Husum Martina Keller
Friedrichskoog (taz) - Für seinen ersten Besuch in der „zivilisierten“ Welt seit fünf Monaten hatte Peter Todt vorsorglich einen Kamm eingepackt und auch ein Paar Schuhe unterm Bett in der Vogelwärterhütte hervorgekramt: Auf der Nordseeinsel Trischen trägt er keine. So ausgerüstet stieg Todt in sein grünes Kanu und paddelte mit dem Wind im Rücken die 14 Kilometer ans Festland zum Pressetermin in der Seehund-Stuv, einer Kneipe am Friedrichskooger Hafen.
Todt ist gefragt, seit er die Waffentests der Bundeswehr in der Meldorfer Bucht anprangerte. Doch der Vogelwart ist schwer zu erreichen: Von Ende März bis Ende Oktober lebt er allein auf Trischen, das zur Zone eins des Nationalparks Wattenmeer zählt und nur mit Sondergenehmigung betreten werden darf. Eine Holzhütte auf Stelzen, die mit Stahlseilen im Boden verankert ist, dient dem Vogelwart dort als Unterkunft. 20 Treppenstufen führen hinauf zu dem kleinen Wohn- und Schlafraum. Ein Holztisch, zwei Stühle, ein Etagenbett sind das gesamte Mobiliar. An der Wand hängen Ferngläser, ein Gewürzbord und Regale: Peter Todt hat Vogelbücher und Hesse-Lektüre mit auf die Insel genommen. Fischer Rowedder aus Friedrichskoog bringt einmal in der Woche die Post sowie Trinkwasser und Lebensmittel. In Sachen Hühnereier ist Peter Todt autark: Vier Hennen produzieren in luftiger Höhe, denn auch das Hühnerhaus steht auf Stelzen, falls auf Trischen mal „Land unter“ ist.
Peter Todt arbeitet im Auftrag des Deutschen Bundes für Vogelschutz (DBV). Der gelernte Optiker, den Mitarbeiter des Nationalparkamts in Tönning als genauen Beobachter schätzen, zählt die Brut- und Rastvögelbestände der Insel. Außerdem sorgt Todt dafür, daß Touristen die Insel nicht als Ausflugsziel mißbrauchen. Zum eigenen Vergnügen hat er früher Vogelstimmen aufgezeichnet. Das ist vorbei, seit von der fünf Kilometer entfernten Texaco-Bohrinsel Mittelplate A beständiges Brummen herüberdringt. Notgedrungen ist der Vogelwart in diesem Jahr auch Totengräber: 71 verendete Seehunde wurden auf Trischen angeschwemmt.
Um Vögel zu beobachten, steigt Peter Todt auf eine 20 Meter hohe Bake, die als Seezeichen installiert wurde. Oft steht er stundenlang dort oben, den Rücken an die Kuppel gelehnt, die Füße gegen eine kaum knöchelhohe Kante gestemmt, das Fernglas in der Hand. Todt beobachtet nicht nur die Tiere, er registriert auch die Aktivitäten der Bundeswehr in ihrem Sperrgebiet im Watt.
„Meine Empfindlichkeit ist im Laufe der Zeit größer geworden“, berichtet der Vogelkenner, der seit 1980 den größten Teil des Jahres auf Trischen verbringt. Früher habe er die Waffenerprobungen einfach zur Kenntnis genommen. Irgendwann habe er begonnen, die Vorgänge aufzuschreiben. „Heute lasse ich alles stehen und liegen und fertige Protokolle an, sowie die anfangen zu schießen.“ Die von Todt eng beschriebenen Blätter gehen als Jahresberichte an den DBV. Minutiös notiert der Vogelwart Datum, Uhrzeit und Umfang der beobachteten Störung.
Vor einem Jahr hat Todt bemerkt, daß die Bundeswehr ihre Waffentests in die Zeit der Brandgansmauser ausdehnt. Todt fürchtet um den Bestand dieser Tiere, die während der Mauser flugunfähig sind, daher einen begrenzten Bewegungsradius haben und nicht flüchten können. Eine weitere Veränderung: 1988 habe die Bundeswehr erstmals auch bei Hochwasser geschossen und die Munition dann bei Niedrigwasser geborgen. Dadurch verlängere sich die Dauer der Störung.
Schlimmer als das Schießen seien die Hubschrauberflüge: „Eine Katastrophe für die Vögel“, sagt Todt. Hubschrauberflüge werden auch außerhalb der Schießzeiten gestartet. Anfang August, zum Beispiel, seien Hubschrauber, Boote und Fahrzeuge der Bundeswehr im Watt gewesen - „das nannte sich dann Vermessung“.
Die Stahlvögel des Militärs fliegen nach Angaben von Todt nicht nur über den Hauptzielgebieten der Bundeswehr - dem Bielshövensand und dem Helmsandsteert -, sondern auch über der Marner Plate, wo sich das militärische Sperrgebiet und die Zone eins des Nationalparks überlappen. „Im Clear-and -Range-Verfahren (Sichern einer Zone vor Testbeginn, d.Red.) überfliegen sie nicht immer, aber oftmals dieses Gebiet.“
Für Todt wäre es ein Fortschritt, wenn zumindest die Marner Plate als militärisches Sperrgebiet gestrichen würde. Vom ökologischen Standpunkt hält er den Bielshövensand („das Beste, was wir im Dithmarscher Wattenmeer haben“) und den Helmsandsteert für ebenso wertvoll. In einem vorläufigen Entwurf zum Nationalparkgesetz seien auch beide Gebiete als Zone eins ausgewiesen, dann aber kurzfristig gestrichen worden: „Das war keine ökologische Entscheidung, das war ein Diktat der Bundeswehr.“
Peter Todt bekommt vom DBV zehn Mark pro Tag (plus 2,50 Mark Inselzulage) dafür, daß er auf Trischen seiner Berufung nachgeht: dem Sehen. Was er vor Augen hat, wird ihm manchmal zuviel. Seinen Posten will er aber trotzdem nicht aufgeben: „Ich meine fast, ich hätte eine gewisse Verpflichtung, da Wache zu halten. Ich hab mich jetzt eingearbeitet und bin auch bereit, Trischen weiter zu betreiben.“
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