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FRANZLIT IM- UND EXPORT

■ „Der unterbrochene Dialog“ im Literaturhaus

Ist der nouveau nouveau roman da? Was an Neuem folgte, auf den letzten Klassiker der französischen Literatur, wird gegenwärtig in einer Veranstaltungsreihe im Literaturhaus, zu der Gisela Lerch und Christiane Baumann in Eigeninitiative acht zeitgenössische französische oder französischsprachige Schriftsteller luden, auf seinen Ewigkeitswert hin überprüft. Einen vergleichbaren Einblick in französisches Literaturgeschehen hat zuletzt Walter Höllerer gegeben, als er 1962 eben jene Autoren des nouveau roman in Berlin präsentierte. Daher der Titel der jetzigen Lese- und Diskussionsrunden: der unterbrochene Dialog. Am Eröffnungsabend am Dienstag suchte denn auch die Literaturkritikerin Gerda Zeltner ('Neue Zürcher Zeitung‘) die Zeitspanne zwischen beiden Ereignissen zu beleuchten: Die Literatur der siebziger Jahre zeichne sich vor allem durch das Fehlen einer verbindlichen Programmatik aus, was der literarischen Darstellung neue und vielfältige Wege eröffnet habe: „Hang zu barocker Üppigkeit und Freude an sinnlicher Wiedergabe“, Bearbeitung von Themen wie Kolonialismus, Emigration, Fabrikarbeit und Faschismusbewältigung; überwiegend soziale Randfiguren als Protagonisten, „Reflexion der Fragwürdigkeit unseres Realitätsbezuges, die Uneigentlichkeit unserer Existenz“. Kaum ein allgemeingültiges Schlagwort zur modernen Literatur, das nicht fiel. So las denn auch am ersten Abend der aus Lausanne stammende und in Paris lebende „Ghostwriter“ (Autor des Buches „L'ecrivain fantome“) Jean -Luc Benoziglio (Jahrgang 1941) eine humoristische Collage aus Kremlstammtischgesprächen, mit Jungmädchenschicksalen vermischt, eine Art Hommage an die Berliner Mauer, während die Autoren des zweiten Tages, Philippe Djian (Jahrgang 1949) und Jean Echenoz (Jahrgang 1947) mit leichtfüßigen „B-writings“ aufwarteten, deren Erzählweise betont amerikanophil war und sich keineswegs mit der Existenz als solcher abkämpfte.

Der unterbrochene Dialog? Die Diskussionsveranstaltung zum Thema wurde vom Frankomanen Lothar Baier gleich in triftiges Fahrwasser gelenkt: „Weder stand der Austausch zwischen Frankreich und Deutschland früher in Blüte, noch ist heute das Gegenteil wahr.“ Zwar hätte der nouveau roman den Deutschen einen letzten Maßstab zur Kontrolle des Frankreichimports an die Hand gegeben, was die Erwartungshaltung einst in die Höhe trieb. Indes sei das heutige Fehlen einer kohärenten Stilrichtung nicht unbedingt zu bedauern, erlaube sie doch endlich die Würdigung des einzelnen Schriftstellers; so sei ja auch das Denken in nationalen Kategorien von jeher „kontraproduktiv“ gewesen.

Dirk Hemjeoltmanns, der seinen manholt-Verlag der Kompensation dieses literarischen Dialogblackouts verschieben hat, sprach von der ökonomischen Gratwanderung eines solchen Übersetzungsunterfangens, von dem geradezu halsbrecherischen Gefälle zwischen französischer Philosophie - und Literaturrezeption. Die Literaturkritikerin Marianne Alphant ('Liberation‘) glaube im französischen Editionsbetrieb ein zunehmendes Interesse an ausländischer Literatur ausmachen zu können, nicht zuletzt durch Einführung spezieller Literaturpreise wie u.a. des Prix Medicis Etranger. Schon nach der ersten Diskussionrunde mußte freilich eingestanden werden, daß der Titel der Veranstaltung vor allem eine deutsche Angst beschreibt: Der unterbrochene Dialog sei ja nur für uns mit unserer zwanghaften Westausrichtung ein existenzielles Problem...

Michaela Ott

Weitere Veranstaltungen im Literaturhaus: Heute: 14 Uhr öffentliche Diskussionsveranstaltung, Extreme Gegenwart Schriftsteller sprechen über ihre literarischen Ansätze, 19 Uhr Lesung: Valere Novarina und Marie NDiaye; Samstag, 14 Uhr, Blanchot, Perec und die Folgen - Traditionslinien der französischen Gegenwartsliteratur. 19 Uhr; Lesung: Pierre Guyotat; Sonntag, 18 Uhr: Fete litteraire.

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