: GALAMA
■ „Furiosa“ im Ballhaus Naunynstraße
Die Frau im eigelben Ganzkörperschlabberlatz kommt von der Musikschule Tempelhof und freut sich; darüber, daß alle da sind, hier im Ballhaus, das so großzügig war usw.; darüber, daß die Jazzfrauen zusammen ... mit Tradition ... Kannaille eins und zwei, taktlos ... und am meisten freut sie sich über sich selbst, wie sie auf der Bühne steht, immer wieder, nach jeder Sequenz aufs Neue. Im Publikum dominiert das wollene Wams, gern ist auch ein Bändchen um die Stirn geschlungen, wo wir auch sind, wir sind stark und schön, und wenn wir die Gebetsmühle nur lange und verbissen genug drehen, glauben wir es in hundert Jahren vielleicht sogar selbst.
Kottbusser Tor - Ach so heißt das erste Ergebnis des Furiosa trendy und geplustert sich nennenden Workshops (Arbeitsladens); schon für den Titel gibt's Applaus, du, das hat ja was mit mir selber zu tun, wie interessant. Hhhä -hha-hhä-hha japst eine Sängerin asthmatisch, rührt mit den Händen die Luft vorm Bauch um und um, die Kolleginnen an Flöte, Saxophon und Fagott, Posaune und Trommeln schnalzen, ploppen, fiepen, es OMt und brommt, die Sängerin verlegt sich aufs schiere Gejaul, Hhä-iii-uuu-ii-ää-ii-ää-ii, die Hände ringt sie hochdramatisch, und einen Steptanzkursus bzw. Workshop (Arbeitsladen) hat sie auch einmal mitgemacht, Klackediklack, es ist immer schön, wenn ein Mensch sich selbst erfährt.
Das Etikett ist schicker Schwindel, furios, wild, heftig ist hier gar nichts, akademisch-anämischer Konservatoriumsjazz spreizt sich, ein paar Standardimponierspielereien komplettieren das Bild, die Begrenztheit des angeblich freien Spielens bleibt unangetastet, es ist konventionell.
Eine zweite Formation betritt die Bühne, mein Vordermann im wärmenden Flanell legt mechanisch den Arm um den Stuhl seiner Frau, nie mehr allein, Gottseidank. Irene Schweizer sitzt am Flügel, sie spielt beherrscht, absolut sicher, schichtet Stimmungen ineinander, Joelle L'eandre zieht den Bogen aus dem Köcher und sägt ihn über die Saiten, schreit, singt, stampft, das Klavier wogt, Trompete und Posaune quäken gedämpft, für ein paar Momente tanzt und pulsiert es, lebt, und dann sind wir wieder im Unterricht. Eine Flasche fällt um, kladänk in die Stille, hahaha, kein Witzchen zu flach, zu lahm, zu matt, die Hundertschaft im Saal hat beschlossen, sich zwischen Tiefgründelei, Seliglächeln, Humanitätsgedusel und Selbstbeweihräucherung wohlzufühlen, und auch Sibylle Pomorins Saxophon, das Kreischen und Zerfetzen kann mit Glasschneiderhärte, dringt nicht durch den Panzer des Achistesnettundschön. Wir machen ein Schläfchen, riefen die Schäfchen. Mäh mäh.
wiglaf droste
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