piwik no script img

„Geschickter Zug“

Martin Smith, Birma-Experte in London, zur Perspektive der Opposition  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie beurteilen Sie das Zugeständnis Maung Maungs, die Verfassung zu ändern und freie Wahlen abzuhalten?

Martin Smith: Ich glaube nicht, daß es eine direkte Antwort auf U Nus Oppositionsregierung ist. In erster Linie wurde die Regierung durch die anhaltenden Proteste zu diesem Schritt gedrängt. U Nu hat die Regierung mit seinem Schritt natürlich zusätzlich unter Druck gesetzt. Er spielt ein sehr geschicktes Spiel. Hätte sich niemand öffentlich bereiterklärt, eine Übergangsregierung beziehungsweise eine Alternative zu stellen, hätte sich der Eindruck verstärkt, daß die Opposition in Birma lediglich ein anarchistischer Haufen sei. Und U Nu, ein international respektierter Politiker, hat hochkarätige und einflußreiche demokratische Politiker aus den fünfziger Jahren um sich geschart. Hätten indessen die Studenten oder jüngeren Demonstranten eine Gegenregierung ausgerufen, hätte dies der Armee Vorschub geleistet und ignoriert werden können. U Nu verleiht der Oppositionsbewegung im Moment einen Hauch von Legitimität.

Warum hat U Nu die Studenten nicht unterrichtet? Auch Sun Suu Kyi, die Tochter Aung Sans, kritisierte die Bildung einer Gegenregierung als voreilig.

Man sollte im Auge behalten, daß U Nu die politischen Krisen der vierziger und fünfziger Jahre überstanden hat. Als Birma 1948 die Unabhängigkeit erhielt, brach das Land mehr oder weniger auseinander. Es gab ethnische und kommunistische Aufstände, und selbst innerhalb der Armee kam es zu Meutereien. Bis Ende der fünfziger Jahre vermochte man dieses Problem nicht zu lösen, zudem gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen den politischen Parteien. Das war einer der Gründe für Ne Wins Machtergreifung 1962. U Nu ist sehr daran interessiert, klar zu machen, daß die Situation sich heute grundsätzlich von der von 1948 unterscheidet. Er stützt sich dabei auf die Mönche und Selbstverwaltungskomitees der Opposition.

Welche Rolle kommt den Mönchen dabei zu?

Seit der nationalen Unabhängigkeitsbewegung in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren bewegen sich die Mönche immer wieder an der vordersten Front politischer Protestbewegungen. Ne Wins Bemühungen, den buddhistischen Klerus als politische Kraft zu neutralisieren, hat den Widerstand gegen sein Regime geschürt. Neben der Armee sind es tatsächlich die Mönche, die über einen nationalen Organisationsapparat verfügen. Sie haben die Opposition unterstützt und hier insbesondere U Nu, der als äußerst religiöser Mann gilt. Als U Nu 1961 den Buddhismus zur Staatsreligion erhob, trug ihm dies bis heute das Mißtrauen insbesondere der christlichen, animistischen und muslimischen Minderheiten ein.

Wie schätzen Sie den Rückhalt der Opposition bei der Armee ein?

Ich glaube, viel hängt davon ab, wie verantwortlich sich die Oppositionsbewegung verhält. Erinnern wir uns, die Armee hat das Feuer auf die Demonstranten eröffnet und vielleicht 3.000 bis 4.000 Menschen getötet. Ich denke, daß selbst die Armeeangehörigen damit nicht glücklich waren. Auch die Tatsache, daß die BSPP die Armee zurückgezogen hat, deutet darauf hin, daß sie die Armee nicht länger zur Aufstandsbekämpfung in den Straßen einsetzen konnte. Falls die Opposition jedoch, wie angekündigt, die verantwortlichen Kommandeure zur Rechenschaft ziehen wird und es zu Exekutionen der Schuldigen kommen sollte, würde die Armee möglicherweise die Reihen wieder schließen. Dasselbe gilt, wenn wieder die Guerilla der ethnischen Minoritäten, von denen zehn in der Nationalen Demokratischen Front NDF zusammengeschlossen sind, zusammen mit den Kommunisten in die Offensive gehen würden - was sie ja angedroht haben. Es ist sehr schwer vorherzusagen, wie sich die Armee verhalten wird.

sl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen