: ...über Jahrzehnte harter Arbeit
■ Nur noch 25 „Unständige“ vermittelt das Arbeitsamt Hafen täglich an die Stauereien / Sozi-Empfänger, Arbeitslose, Nebenverdiener / Wer keinen Job bekommt, hat sich den Wecker umsonst gestellt
Es ist 5.30 Uhr. In der großen Halle des Hafenarbeitsamtes in der Tilsiter Straße sitzen bereits fünfzehn schlafentrissene Arbeitssuchende. Erst um sechs Uhr werden von Angestellten des Gesamthafenbetriebsvereins (GHBV) die Stellen ausgerufen. Jetzt kommt Leben in den Saal. Achtzehn Stellen sind zu verteilen. Heute bekommt jeder der Wartendenden einen Job. Am Neustädter Hafen ist der Dampfer „Teonic“ aus Sri Lanka eingetroffen, den Bauch voller Zuckersäcke. Im Kleinbus des GHB-Vereins werden die Arbeiter hingefahren.
Der GHBV vermittelt Arbeitskräfte an Bremer Hafenbetriebe, die Mitglieder dieses Vereins sind. Aus einem gemeinsamen Fond werden die Hafenaushilfs arbeiter bezahlt. Aber diese „Unständigen“ sind nur wenige: Nicht mehr als 25 pro Tag werden durchschnittlich vermittelt. Die Stammbelegschaft des GHBV umfaßt etwa 1000 Hafenarbeiter. Auch sie stehen als Reserve oder „Pool“ den Hafenstauereien zu Verfügung, aber sie bekommen einen regulären, festen Lohn. Die Hafenbetriebe, die Mitglieder im GHBV sind, können sich so flexibel auf Schwankungen im Arbeitsaufkommen einrichten.
Fühlbar werden die Schwankungen dagegen für die „Unständigen“. Zumeist warten mehr Arbeitssuchende auf eine Tagesar
beit, als Stellen zur Verfügung stehen. Wer keine Auftragskarte bekommt, verdient auch keinen Pfennig Geld, trotz des frühen Aufstehens.
In den Sommermonaten Juni und Juli wurde in diesem Jahr viel Arbeit benötigt. „September und Oktober kannste abhaken“, erzählt ein Arbeiter, der seinen Namen nicht nennen mag. Um zwölf Uhr mittags sitzt er schon mit vier anderen Bewerbern in der Wartehalle des Arbeitsamtes. Die nächste Verteilung zur Spät- und Nachtschicht wird erst um 14 Uhr beginnen. „Wenn hier nichts los ist, dann bleibt dir nur eins, der Gang zum Sozialamt“.
Für arbeitslose Sozialhilfe-Empfänger lohnt sich die Arbeit nur, wenn viele Jobs angeboten werden. Der „Unständige“, der schon seit elf Jahren auf diese Art sein Geld verdient: „Erst, wenn das zwei Wochen an einem Stück gut läuft, hast du mehr wie beim Sozialamt“.
„Wenn zuviele Arbeitssuchende da sind, dann geht es ganz klar auch nach Qualifikation“, sagt Helmut Edmaier, Leiter des Hafenarbeitsamts, zu den Kriterien, die für den GHBV bei der Auswahl der Bewerber gelten. Und das bedeutet körperliche Kraft und Ausdauer. Auch der Führerschein für Gabelstapler und der eigene PKW, zum schnelleren Erreichen des Arbeitsplatzes, sind gefragt. „Wenn
einer mit Auto da ist, hat er gute
Karten“ weiß ein motorisierter
Student, der heute an der „Teonic“ am Neustädter Hafen gearbeitet hat. „Die wenigsten Bewerber sind arbeitslos“'erkärt Helmut Edmaier. Größtenteils seien sie Arbeitnehmer, die zu ihrem Lohn dazuverdienen wollen.
Beim Kaffeeumschlag am Schuppen 17 zeigt sich: Hafenarbeit ist Schwerst- und Männerarbeit. Das Arbeitsschutzgesetz verbietet schweres Lastentragen für Frauen. Zwölf Arbeiter des GBHV nehmen die Kranladungen am Kai entgegen. In weniger als vier Minuten stapeln sie 32 Kaffeesäcke auf Paletten. „Meistens sind das nur die schlechten Arbeiten, die an uns vergeben werden“, sagt ein Arbeiter aus dem Iran in der Mittagspause. Er bekommt
502 DM Arbeitslosengeld im Monat. Eine Schicht am Hafen bringt ihm etwas mehr als 100 Mark brutto, etwa 75 Mark netto. Wenn er mehr als 18 Stunden wöchentlich arbeitet, wird sein Verdienst auf die Arbeitslosenunterstützung angerechnet. Von der Hafenarbeit leben kann er nicht: „Zuwenig Jobs“.
Im Schiffsinneren werden die Traversen des Kranes beladen. Die tonnenschweren Ladungen taumeln am Kranseil in die Höhe und schweben über das Kai. Dort werden sie vorsichtig entladen. „10.000 Sack sollen bis heute abend verladen werden“, sagt der Talymann, der die gelöschte Ladung am Kai zählt.
Christian Pricelius
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