piwik no script img

Leichen-betr.: "Fahrplan für den Grünen Aufbruch", taz vom 13.9.88

Betr.: „Fahrplan für den Grünen Aufbruch“,

taz vom 13.9., S. 5

Wieweit ist es mit der Basisdemokratie-Beschwörungspartei gekommen, wenn die simple Forderung nach Standort und Perspektiven-Diskussion mit anschließender Urabstimmung mit hysterisch-allergischem „Karteileichen-Diktatur„-Gezeter weggestempelt werden soll?

Wir wollen wir denn Normal-Menschen wachrütteln, wenn wir uns damit abgefunden haben inzwischen 90 Prozent der Mitglieder in Karteileichenkästen zu vergessen (an Delegiertenwahlen beteiligen sich maximal noch 10 Prozent)? Der Parteiboykott durch innere Imigration hat sicherlich unterschiedliche Ursachen. Die meisten dürften sich aber auch im „Leben“ dieser Partei nicht wiederfinden, bzw. sie verstehen etwas anderes unter Leben. Die „Strömungsdifferenzierungen“ des harten Kerns (der inzwischen aus über 1.000 Partei und Fraktionsbeamten und nochmal sovielen arbeitslosen Intellektuellen - wie ich auch - sowie einigen Lebenskünstlern besteht) können vielleicht den einen oder anderen Tiefkühlflügel leicht abtauen - den schleichenden Abruch des grünen Versuchs wird er kaum treffen.

„Die Partei ist quicklebendig“, schrieb der Bundesvorstand nach dem Godesberger-Perspektivenkongreß im Juni. Ich nehme das umgekehrt wahr. Repräsentative Stichproben bei 17 Karteileichen zeigten mir eine extremistische Lebendigkeit, während in grünen Funktionärskreisen auch mal über Parteileichen nachgedacht werden sollte. Tja, und ich hab ganz viel Angst, daß mich auch bald diese schleichende Funktionärskrankheit dahinraffen könnte. Die einzige Hoffnung, die ich ernsthaft für die grüne Partei noch habe, ist, daß die Karteileichenbasis die Partei noch einmal instand besetzt! Eine Urabstimmung mit breiter und offener Generaldebatte in unterschiedlichsten Formen vorneweg ist ein günstiger Weg, - was denn sonst?!

Hermann Strahl, Unna

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen