piwik no script img

Chancen für Solidarnosc steigen

■ Polnische Regierung und Opposition wollen nach den Gesprächen über die Tagesordnungspunkte Mitte Oktober Verhandlungen aufnehmen / Politbüro-Mitglied spricht von „de-facto-Anerkennung“

Berlin (ap/taz) - Die „Standpunkte haben sich aufeinanderzubewegt“, erklärte der polnische Arbeiterführer Lech Walesa am Freitag nach seinen Gesprächen mit dem Innenminister Czeslaw Kiszczak. Die Verhandlungen am „Runden Tisch“ zwischen der polnischen Regierung und der Opposition über die Zukunft des Landes werden, einem gemeinsamen Kommunique zufolge, Mitte Oktober beginnen. Gesprächsthemen werden der Zustand des Staates, des öffentlichen Lebens und der Volkswirtschaft sowie „die Beschaffenheit der Gewerkschaftsbewegung“ sein.

Gerade um diesen Tagesordnungspunkt für die kommenden Verhandlungen wurde während der Vorgespräche hart gerungen. Innenminister Kiszczak habe schließlich nach sechs Stunden Diskussion am Freitag davon gesprochen, daß er sich eine Zukunft für die Solidarität vorstellen könne, verriet der Führer von Solidarnosc der Region Breslau, Wladyslaw Frasyniuk, am Samstag einer Gruppe von Journalisten. Vor den Gesprächen hatte der Innenminister keine Möglichkeit für die Legalisierung der Organisation gesehen, sondern nur neue Formen der Betätigung von Solidarnosc-Mitgliedern in den Betrieben eingeräumt.

Im Verlauf der Gespräche habe der Innenminister aber eindringlich den Wunsch der Regierung nach „authentischen Reformen“ vorgetragen, die auch einen Platz für Solidarnosc eröffneten. Er sei jedoch nicht ermächtigt, die sofortige Wiederzulasung der Organisation zu versprechen. Vor dem Hintergrund der Widerstände im Partei-, Militär- und Polizeiapparat jedoch müsse die Opposition Geduld üben.

An dem Freitagsgespräch hatten 25 Personen teilgenommen, darunter zehn Aktivisten von Solidarnosc, fünf Vertreter der offiziellen Gewerkschaften (OPZZ), der als Vermittler fungierende Juraprofessor Andrzej Stelmachowski und zwei Priester als Repräsentanten der Kirche. Der Regierungsdelegation unter Kiszczak gehörten u.a. das stellvertretende Politbüromitglied Stanslaw Ciosek an, der nach Frasyniuks Worten die Tatsache gemeinsamer Gespräche schon als „de facto-Anerkennung“ von Solidarnosc sah. Auch Stelmachowski sah nach den Gesprächen Chancen für die Legalisierung von Solidarnosc. Am Samstag trat das Politbüro der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei zusammen, um über den Stand der Verhandlungen zu beraten.

er

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen