: „Leben minus Freiheit“
■ Monatelang war die Innenverwaltung nicht bereit, die Gewahrsamsordnung für den Abschiebeknast in der Kruppstraße vorzulegen Der kritisierte Passus - Besuch nur bei Nachweis eines berechtigten Interesses - wurde noch schnell gemildert
Mit dreimonatiger Verspätung hat die Innenverwaltung die seit Anfang Juni geltende, verschärfte Gewahrsamsordnung für Abschiebehäftlinge in der Kruppstraße vorgelegt. Danach dürfen Inhaftierte nur noch von solchen Deutschen besucht werden, die „ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen“. Diese Restriktion ging so weit, daß selbst Mitglieder der „Aktion Fluchtburg“ nicht mehr zu den Abschiebehäftlingen vorgelassen wurden. Weil es sich um eine Geschäftsanweisung des Innensenators handelt, die nicht der parlamentarischen Kontrolle obliegt, konnte Kewenig die Gewahrsamsordnung monatelang unter Verschluß halten. Nicht einmal den Koalitionskollegen der FDP wollte er das Dokument anvertrauen. Erst mit der Empörung sämtlicher Flüchtlingsinitiativen, mehreren Hungerstreiks im Abschiebeknast sowie dem Druck der FDP und der Oppositionsparteien gab die Innenverwaltung nach. Die Besucherregelung hatte sie zuvor noch schnell gemildert. Zwar müssen Besucher nach wie vor das berechtigte Interesse glaubhaft machen, doch reicht es schon, wenn der Inhaftierte dem Besuch zustimmt. „Verwahrte Ausländer dürfen auf eigenen Wunsch jeden Besucher empfangen.“ Bei Flüchtlingsorganisationen werde inzwischen - so der Pressesprecher der Innenverwaltung - das Interesse als gegeben gesehen. „Eine Garantie ist das aber nicht“, sagt Jürgen Strohmaier von der „Aktion Fluchtburg“. Die Gewahrsamsordnung ist in diesem Punkt so ungenau, daß den Flüchtlingsgruppen das berechtigte Interesse jederzeit wieder abgesprochen werden kann. Strohmaier fordert, daß „die Gewahrsamsordnung unter parlamentarische Kontrolle gestellt wird und nicht mehr alleinige Angelegenheit der Innenverwaltung beziehungsweise der Polizei ist“.
Laut Gewahrsamsordnung soll die Haft nur der „Sicherstellung der Abschiebung“ dienen. „Leben minus Freiheit“ lautet die von der Obrigkeit gern zitierte Formel. „Die verwahrten Ausländer“ seien „menschenwürdig“ zu behandeln und „in ihrer Freiheit nicht weiter zu beschränken, als es der Zweck der Unterbringung und die Sicherheit und Ordnung im Polizeigewahrsam“ erforderten.
Tatsächlich aber sichert die Gewahrsamsordnung nur einen reibungslosen Knast-Alltag. Jede Möglichkeit, den Inhaftierten den Verbleib zu erleichtern, wird vermieden. Mit fünf anderen Abschiebekandidaten teilt sich der Häftling eine Sammelzelle, in die er fast den gesamten Tag eingesperrt ist. Will er auf dem Gang eine Zigarette rauchen, muß er den Wärter bitten, die Zelle aufzuschließen. Diese ist im Abstand von einem halben Meter vor der Tür eingegittert, was dem Wärter einen genauen Überblick ermöglicht. Die Fenster sind ebenfalls vergittert.
Das Gitter - angeblich zur Sicherheit der Abschiebehäftlinge - ist feinmaschig; die Möglichkeit eines Selbstmordes durch erhängen ist damit verhindert. „Die ständige Angst des Personals, die Leute könnten sich umbringen, beweist schon die ganze Fragwürdigkeit der Gewahrsamsordnung“, so Strohmaier.
Die Abschiebekandidaten sind nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt; es gibt keine freie Arztwahl; die Freistunden sind auf täglich eine halbe Stunde Ausgang im Freien begrenzt; um 22 Uhr geht das Licht aus; von der Existenz der Bücherei werden die Häftlinge meist nicht informiert. Besucher, oftmals sind es die eigenen Kinder, dürfen nur für eine halbe Stunde kommen und sind von den Inhaftierten durch eine mit Fingerabdrücken verschmierte Glasscheibe getrennt. „Hier ist es schlimmer als in Tegel“, sagt einer der Abschiebehäftlinge, der früher einmal eine Haftstrafe verbüßt hatte. Dort wenigstens sitzen Besucher nicht vor einer Trennscheibe. Am Ende unseres Gesprächs will er mir spontan die Hand geben. Dabei knallt er mit dem Knöchel gegen die Scheibe.
E.K.
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