piwik no script img

DAS GUTE STÜCK IM DREIERPACK

■ Ergebnisse der Designwerkstatt bei Wertheim, in der Werkbund-Galerie und in der DAAD-Galerie

Die Sekretärin ist dem modernen Schreibtischensemble immanent. So ist das von einem Fotografen zur Ablichtung getroffe- ne Blitzarrangement der hübschen beinüberschlagenen Blondgebräunten mit dem flotten Kostüm auf dem Kammerensemble Karajan I und Karajan II von Herbert Jakob Weinand im sechsten Stock von Wertheim am Kudamm redundant, weil es das in den fahrbaren klangkörperlosen Klavieren ohnehin schon von Weinand explizierte, in Körperbeherrschung, Fingerfertigkeit und Schönheit des bereits verfertigten Gedankens liegende Apriori des Schreibtischs, weiland selbst Sekretär, noch einmal verdoppelt hat: Metapher über Metapher über Metapher im „Büro der Zukunft“ der vierzehn Designer und Designergruppen, die die in der E88er Designwerkstatt entstandenen zunächst individuell unverkäuflichen, aber industriell fertigbaren Prototypen für den öffentlichen Bereich im Kaufhaus ausstellen.

Mächtig sind die Hightechaltäre, die Berlinetta Industrial Design im arenamäßigen Halbkreis „zum Abstecken des eigene 'Reviers'“ rotieren läßt, die Joachim B. Stanitzek zwischen vom Abenteuerspielplatz entlehnte Holme plus Federzug hängt, oder die Gabriel Kornreich bei seinem stählernen postschmiedeeisernen Computerpult für die Wartezone Precedent I mit passender Sitzgelegenheit Precedent II gleich die Engel sich ausdrucken lassen: „Computerpult ... die Präsenz und der Ort der Technologie als Verbindung zum Verwaltungsapparat. Das Pult als freundlicher Gehilfe, der uns mit tausend Gesichtern anlächelt und uns sogar die Zunge rausstreckt. Sitzgelegenheit ... auf dem sich der Besucher als Engel entdeckt. Seine gute Mission gibt ihm Rückhalt, und sein Rückhalt läßt ihm Flügel wachsen. Der Raum, den die Flügel beschreiben, verhindert, daß der Besucher in die Enge getrieben wird.“ So spricht der Bildschirm.

Das Norm-Schreibbüro von Andreas Brandolini mit seinen Oberleitungen von Märklin und Dr.Frankenstein, der lebenslängliche Konferenztisch Spannung von Albert Langenmayr, bei dem nicht nur das Holz, sondern auch die Drahtseilverspannung ebenso massiv ist, wie die im Nacken der zukünftigen Konferenten, die löchrige Überflüssigkeit des Briefbeschwerers Berliner Kelle aus vernickeltem Stahl von Hermann Waldenburg, die rituelle Schlangenbeschwörung der Standleuchte Hermes von Axel Stumpf, der kalauernde Dreischwinger von Stiletto, die praktischen Einwegsitze Nasensessel aus Pappe von Franz -Wolfgang Lorenz, das Vollzugsdesign des Aktenzwingers von Jörg Hundertpfund und Sylvia Robeck, das abstandsgrün -alternative Elementsystem für die Wartezone mit betonklotzintegriertem Brünnlein von Cocktail, der Blick und Metall anziehende durchsichtig-magnetische Raumteiler Fish'n Chips von Ad Us, oder das Gitterrost-Ensemble Hommage an Depero für Feuerfeste Grillparties in Wartezonen von Alessandro Carlini, das schließlich doch noch weniger den Sehnerv als das Sitzfleisch verletzt - kein narzißtisches Imaginäres entfaltet sich um die Möbelkultur, schon eher ein Effekt verzweifelter Selbstreferenz. Oder: „Aus Mangel an Identität haben die Amerikaner ein wunderbares Gebiss.“ (Dr. Marbuse)

Unterdessen stellt Eva Maria Ocherbauer die passenden Fotos zur Designwerkstatt in der Werkbund-Galerie aus. Dort sitzen die computerausdrucklosen Engel hühnergleich auf der Kleiderstange in Sichthöhe aufgesteckt, da wo sonst der Hut hängt: ausgeschnittene Künstlerköpfe mit Flügeln, mit fotopapierener Sprechblasenaura oder sichtblendender Doppelbelichtung, euklidisch gekrümmte, zweidimensionale ausgeschnittene Ausziehtische mit Anziehpuppendisposition, oder viereckige bestochene Blicke frei von dokumentarischen Ansprüchen. Unter der Fotoaufstellung sind von Hand die Nummern der unbekannten Flugobjekte aufs Ständerholz geschrieben - Namensliste liegt aus. Da blähen sich die Hühner - und wir lachen.

In der DAAD-Galerie findet schließlich die letzte Komplementärausstellung statt: Milan Knizak, Attila Kovacs und Jaspar Morrison, Kurz-Stipendiaten aus der Tschechoslowakei, Ungarn und England zeigen je eine Rauminstallation und Knizak und Kovacs zusätzlich noch Werke in 2-D. Das ist schon alles ziemlich reizend, kokettiert auch nett mit den Interferenzen zwischen Kunst und Design und besonders Kovacs weiß mit seinem Berliner Stuhl mit Strommastkrönchen nebst Berliner Tisch im Todesstreifenlook die Heimfrontstädter durchaus anzusprechen, während Knizaks Spiegel- und Bonbonkissenenvironment Berliner Zimmer mehr das Gemütliche und das Narzißtische in uns allen prägnant veranschaulicht. Die allgemeine und besondere Kunst-, Design -, Architekur-, Mode-, Geschmacks-, Gebrauchs- und Wirtschaftshistorische Würdigung sei uns aber an dieser Stelle gütigst erlassen.

Gabriele Riedle

Berliner Wege - Prototypen der Designwerkstatt, Kaufhaus Wertheim am Kurfürstendamm bis 15.Oktober.

Eva Maria Ocherbauer - Fotos zur Designwerkstatt, Werkbund -Galerie, Goethestr. 13, bis 14. Oktober Mo, Mi-Fr 15-18.30 Uhr, Di 10-14 Uhr.

Knizak, Kovacs, Morrison - Die Designwerkstatt in der DAAD -Galerie, Kurfürstenstr. 58, bis 29.Oktober tägl. 12-19 Uhr.

Christian Borngräber: Berliner Wege - Prototypen der Designwerkstatt. Mit Beiträgen zum Verlauf und zu den Ergebnissen der Designwerkstatt; zu den Designtendenzen der achtziger Jahre in Berlin und in der Bundesrepublik; Biographien der Mitglieder der Designwerkstatt. In der Ausstellung 32 DM, im Buchhandel 52 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen